Erboste Iren wählen Parlament
London/Dublin (dpa) - Gut vier Wochen nach dem Zusammenbruch der alten Regierung unter den Folgen der Finanzkrise haben die Iren am Freitag ein neues Parlament gewählt. Mehr als drei Millionen Wähler waren aufgerufen, in 43 Wahlkreisen die 166 Abgeordneten im Parlament zu bestimmen.
Ein schwere Niederlage der Regierungspartei Fianna Fail galt als sicher. Die Wahllokale sollten um 22.00 Uhr (Ortszeit) schließen. Ergebnisse sollen - auch wegen des vergleichsweise komplizierten irischen Auszählungsverfahrens - erst am Samstag verkündet werden.
Der kurze, vierwöchige Wahlkampf war von der immensen Wirtschaftskrise in Irland dominiert worden. Das Land musste nach dem De-Facto-Zusammenbruch seines aufgeblähten Bankensystems unter den Rettungsschirm von EU und Internationalem Währungsfonds schlüpfen. Die Gemeinschaft stellte Kreditzusagen in Höhe von 85 Milliarden Euro bereit, wovon Irland 17,5 Milliarden aus eigenen Mitteln - unter anderem aus seinem gut gefüllten Pensionsfonds - bestreiten soll.
Als haushoher Favorit ging die bisher oppositionelle konservative Fine-Gael-Partei ins Rennen. Ihr Spitzenmann Enda Kenny dürfte nach den Vorhersagen der Meinungsforscher neuer Premierminister werden. Er will das Rettungspaket in Brüssel nachverhandeln und vor allem den Zinssatz für die Hilfskredite drücken. Der 59-jährige studierte Grundschullehrer kann sogar auf eine absolute Mehrheit hoffen. Kenny sagte bei bei seiner Stimmabgabe im Wahlkreis Mayo West: „Ich hoffe, dass so viele Menschen wie möglich im ganzen Land zur Wahl gehen und ihre Stimmen abgegeben.“
Noch wahrscheinlicher als eine absolute Mehrheit galt nach den letzten Umfragen jedoch ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Labour-Partei oder eine Regierung mit Hilfe unabhängiger Abgeordneter, die in Irland traditionell eine starke Rolle spielen.
Der Wahlsieger erbt von der Vorgängerregierung ein Rekord-Haushaltsdefizit von 32 Prozent, einen riesigen Schuldenberg von mehr als 160 Milliarden Euro und eine Arbeitslosigkeit von gegenwärtig 13,4 Prozent. Das Land ist in einem solch desolaten Zustand, dass wöchentlich 1000 Iren ihre Heimat verlassen - vor allem junge, gut ausgebildete Leute, die keine berufliche Perspektive auf der Insel sehen.
Der amtierende Premierminister Brian Cowen tritt nicht mehr an. Seine Fianna-Fail-Partei wird von vielen Iren als Sündenbock für die Wirtschafts- und Finanzkrise des Landes angesehen. Die Partei gilt als chancenlos.