Libyen: Zwischen Jubel und Grauen
Machthaber Gaddafi meldet sich erneut zu Wort. In Tripolis liegen die Toten auf der Straße.
Tripolis. Das Morden in Libyen nimmt kein Ende, doch die wachsende Empörung in der Welt lässt Muammar al-Gaddafi kalt. Der Machthaber hält sogar dagegen: Er machte am Donnerstag das Terrornetzwerk El Kaida für die Proteste verantwortlich. Die Demonstranten seien „Soldaten, die der El-Kaida-Anführer Osama bin Laden rekrutiert hat“.
Gaddafi sagte an die Adresse der Einwohner der Stadt Al-Sawija: „Wenn ihr einander töten wollt, dann tut das.“ Von dort waren heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Gaddafi-Truppen gemeldet worden. Ein Augenzeuge sagte, die Stadt gleiche einem „Schlachthaus“ und fügte hinzu: „Es ist schwer, jetzt die vielen Toten und Verletzten zu zählen.“ Am Abend wurde über weitere Proteste auch aus anderen Städten berichtet.
Der Staatschef, der vom staatlichen Fernsehen diesmal nicht gezeigt, sondern nur per Telefon zugeschaltet wurde, sprach dagegen von einer „Komödie“, die sich in der Stadt abspiele. Außerdem wiederholte er seinen Vorwurf, die Aufständischen stünden unter Drogeneinfluss.
Unterdessen wird die Kritik an Gaddafi immer lauter — ohne dass sich die internationale Gemeinschaft auf Maßnahmen verständigt. Bundespräsident Christian Wulff verurteilte Gaddafi als „Psychopathen“, der sein Volk terrorisiere. Zum ersten Mal äußerte sich US-Präsident Barack Obama öffentlich: „Diese Gewalt verletzt internationale Normen und jedes normale Maß an Anstand“, sagte er. Einen Rücktritt Gaddafis forderte er aber nicht, auch das Wort Sanktion nahm er nicht in den Mund. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) drang dagegen bei einem Besuch in Kairo auf Sanktionen.
Ein Ägypter, der in der libyschen Stadt Misrata lebt, sagte, Teile der Stadt würden von Demonstranten kontrolliert. „Wir wissen nicht, wie wir nach Ägypten fliehen sollen, wir sind umzingelt.“ Der deutsche Geschäftsmann Andreas Weichelt sagte dem Radiosender MDR, auf der Straße in Tripolis lägen Leichen, an vielen Häuserfronten sehe man Einschusslöcher.
Derweil kursierten in Rom Gerüchte, nach denen Gaddafi sein Privatflugzeug vorbereite, um sich in ein befreundetes afrikanisches Land abzusetzen.
Laut Auswärtigem Amt halten sich noch etwa 160 Deutsche in Libyen auf. „Die Gefährdungslage ist nach wie vor hoch“, sagte eine Sprecherin. Zur Rettung sind drei deutsche Marineschiffe auf dem Weg nach Libyen. dpa