Vertraute und Verwandte Erdogan ernennt Schwiegersohn zum Finanzminister
Istanbul (dpa) - Zwei Wochen nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hat die Türkei eine neue Regierung: Der alte und neue Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan legte am Montag seinen Amtseid vor dem Parlament in Ankara ab.
Am Abend stellte er sein neues Kabinett vor.
Damit ist Erdogan (64) auf dem Höhepunkt der Macht angekommen. Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte Erdogan jahrelang hingearbeitet. Die 600 Abgeordneten des neuen Parlaments hatten schon am Samstag ihren Eid abgelegt.
Das neue Präsidialsystem stattet Erdogan mit großer Macht aus. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen. Es ist mit 16 Ministern kleiner als das vorherige mit 26 Ministern, wie die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.
Zu seinem ersten Vizepräsidenten ernannte Erdogan Fuat Oktay. Bei vielen wichtigen Posten blieb alles beim Alten - Erdogan setzt auf Vertraute und Verwandte. Im Außenministerium verbleibt Mevlüt Cavusoglu, im Justizministerium Abdülhamit Gül. Süleyman Soylu ist weiter Innenminister. Neu ist Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak als Finanzminister. Albayrak, der als „Thronfolger“ Erdogans gilt, war in den vergangenen Jahren Energieminister und Abgeordneter. Verteidigungsminister wurde der Stabschef der türkischen Streitkräfte, Hulusi Akar.
Während der kurzen Vereidigungszeremonie schwor Erdogan, dem Rechtsstaat gegenüber loyal zu bleiben, die Demokratie und die säkulare Republik zu schützen und sein Amt unparteiisch auszuüben. Er werde nicht abweichen von dem „Ideal, wonach jeder im Land grundlegende Freiheiten und Menschenrechte“ genieße. Einige Abgeordnete - wohl der Opposition, wie ein Fernsehkommentator anmerkte - blieben in stillem Protest allerdings sitzen. Die Opposition fürchtet eine Ein-Mann-Herrschaft.
Nach der Vereidigung nahmen mehrere Tausend Gäste an einer pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast teil. Regierungsnahen Medien zufolge waren 22 Präsidenten und 28 Ministerpräsidenten dabei. Für die Bundesregierung reiste Altkanzler Gerhard Schröder an, wie das Auswärtige Amt am Montag bestätigte.
Erdogan traf in einer rosengeschmückten Limousine ein und wurde von 101 Salutschüssen begrüßt. In einer kurzen Rede versprach er der Türkei einen „Neustart“. In der neuen Ära werde die Türkei „in jedem Bereich, von der Demokratie bis zu Grundrechten und Freiheiten, von der Wirtschaft bis hin zu großen Investitionen“ besser werden, versprach er. Er wolle der Präsident aller 81 Millionen Türken sein.
Doch der nach dem Putschversuch von 2016 verhängte Ausnahmezustand bleibt vorerst bestehen, obwohl Noch-Ministerpräsident Binali Yildirim vergangene Woche die baldige Aufhebung in Aussicht gestellt hatte. Unter dem Ausnahmezustand hat die Regierung Grundrechte wie die Presse- oder Versammlungsfreiheit eingeschränkt und Zehntausende politische Gegner und Kritiker feuern oder verhaften lassen. Noch am Sonntag verloren mit einem neuen Notstandsdekret rund 18 000 Staatsbedienstete ihre Arbeit.
Die Vereidigung als Präsident an der Spitze des neuen Präsidialsystems krönt eine Karriere, die Erdogan nicht in die Wiege gelegt war. Geboren 1954 im Istanbuler Arbeiter- und Armenviertel Kasimpasa musste er als Kind auf der Straße Sesamkringel verkaufen, um zum Familienunterhalt beizutragen. Dreimal wurde er Ministerpräsident. Weil er das Amt nach den AKP-Statuten kein viertes Mal hätte übernehmen können, ließ er sich 2014 zum Präsidenten wählen. Im April 2017 stimmten die Türken dann in einem umstrittenen Referendum für den Übergang zu einem Präsidialsystem. Am 24. Juni gewann Erdogan die Präsidentenwahl mit rund 52,6 Prozent.
Bisher konnte Erdogan nichts stoppen, nicht einmal der blutige Putschversuch im Juli 2016. Auch deshalb ist seine neue Allmachtstellung vielen nicht geheuer. Aus Sicht des Westens hat Erdogan sich dramatisch gewandelt. 2004 war er als Ministerpräsident noch zum „Europäer des Jahres“ gekürt worden. Der damalige Bundeskanzler Schröder lobte Erdogan für sein „Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung“. Aus Sicht seiner Kritiker steht Erdogan heute gegen diese Werte. Eines von Erdogans Wahlmottos lautete: „Eine große Türkei braucht einen starken Anführer.“