Erdogan kämpft um sein politisches Lebenswerk
Die Kommunalwahlen sind ein wichtiger Stimmungstest für den türkischen Premier. Er steht massiv unter Druck.
Istanbul. Nach einem an Schärfe kaum zu überbietenden Wahlkampf sind die Kommunalwahlen in der Türkei für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu einer Vertrauensabstimmung geworden. Der 60-Jährige, der das Land wie kaum ein anderer Regierungschef in der jüngeren Geschichte verändert hat, kämpft in den Städten und Gemeinden um das Fundament seiner Macht. Seine Partei hat vielen Menschen wachsenden Wohlstand gebracht. Der islamisch-konservative Politiker, der oft auch als „Sultan“ bezeichnet wird, ist allerdings immer autoritärer geworden.
Der Werdegang Erdogans begann im Istanbuler Arbeiter- und Armenviertel Kasimpasa, wohin seine Familie von der Schwarzmeerküste gezogen war. Er verkaufte Wasser und Süßigkeiten auf der Straße, um zum Einkommen der Familie beizutragen. Bis heute zeigt er sich als Fußballfan und Mann aus dem Volk.
Geprägt wurde Erdogan vom Besuch der religiösen Imam-Hatib-Schule, an der Prediger und Vorbeter ausgebildet werden. Sein politischer Ziehvater war Necmettin Erbakan, die inzwischen gestorbene graue Eminenz des politischen Islams in der Türkei.
Als Erdogan 1999 wegen religiöser „Aufhetzung des Volkes“ für vier Monate ins Gefängnis musste, war seine politische Karriere auf dem Tiefpunkt. Eine flammende Rede hatte den islamistischen Bürgermeister von Istanbul hinter Gitter gebracht. „Die Minarette sind unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme, die Moscheen unsere Kasernen und die Gläubigen unsere Armee“, hatte er bei einer Veranstaltung der später verbotenen Wohlfahrtspartei ein Gedicht zitiert.
In Abkehr von den Fundamentalisten wurde 2001 die konservative islamische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) gegründet. In wenig mehr als einem Jahr führte Erdogan die neue Partei an die Macht. Den Posten des Regierungschefs musste er zunächst seinem Parteifreund Abdullah Gül überlassen, dem heutigen Staatspräsidenten. Erst nach einer Verfassungsänderung, die das gegen ihn verhängte Politikverbot aufhob, konnte Erdogan im März 2003 selbst Ministerpräsident werden.
Die AKP brachte der einst krisengeplagten Türkei eine nicht gekannte Phase der politischen Stabilität und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Kritiker werfen Erdogan vor, die Reformen jetzt zurückzudrehen und inzwischen vor allem eine Günstlingswirtschaft zu betreiben. Die Heftigkeit der Proteste in der Türkei hat ausländische Investoren verschreckt. Die Instabilität droht auch Erdogans politisches Lebenswerk ins Wanken zu bringen.