60 Millionen Türken wählen Erdogans Herausforderer zieht Millionenpublikum in Izmir an
Istanbul (dpa) - Einen Tag vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei endet an diesem Samstag der Wahlkampf. Ab 18 Uhr (Ortszeit/17 Uhr MESZ) gilt landesweit ein Wahlkampfverbot, wie aus dem Fahrplan der Wahlkommission hervorgeht.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, treten bei Massenkundgebungen in Istanbul auf, der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes. An diesem Sonntag sind dann fast 60 Millionen Türken aufgerufen, ein neues Parlament und einen Präsidenten zu wählen. Mit der Wahl wird die Einführung des von Erdogan vorangetriebenen Präsidialsystems abgeschlossen.
Umfragen zufolge geht Erdogan - der der Vorsitzende und Kandidat der islamisch-konservativen AKP ist - als Favorit in die Präsidentenwahl. Eine absolute Mehrheit in der ersten Wahlrunde könnte er aber verfehlen. Dann müsste er am 8. Juli gegen den Zweitplatzierten in eine Stichwahl.
Umfragen sahen Ince auf dem zweiten Rang, gefolgt von Meral Aksener von der national-konservativen Iyi-Partei und Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen HDP. Aksener hält ihre Abschlusskundgebung am Samstag ebenfalls in Istanbul ab. Demirtas ist seit November 2016 unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.
Das Wahlbündnis der Regierung unter Führung der AKP dürfte als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgehen. Sollte die HDP allerdings den Sprung über die Zehnprozenthürde schaffen, könnte das AKP-Bündnis die absolute Mehrheit im Parlament verlieren.
Die Kandidaten der Parteien gingen vor Wahlkampfschluss in den Endspurt. Erdogan trat alleine am Freitag auf sieben Wahlkampfveranstaltungen auf. Ince zog am Donnerstagabend in der westtürkischen Küstenmetropole Izmir - der Hochburg seiner kemalistischen CHP - ein Millionenpublikum an. Die Zeitung „Hürriyet“ berichtete danach von „einer der größten Oppositionsveranstaltungen seit Jahren“. Nach Angaben des Kandidaten selbst kamen zu der Veranstaltung drei Millionen Menschen. Selbst regierungsnahe Medien meldeten zwei bis zweieinhalb Millionen Zuschauer.
Bilder zeigten Menschenmassen, die über weite Strecken die Uferpromenade der drittgrößten Stadt des Landes füllten. Viele TV-Sender berichteten live, brachen die Übertragung aber ab, als ein Flugzeug mit Präsident Erdogan an Bord zur ersten offiziellen Landung auf dem neuen Mega-Flughafen in Istanbul ansetzte. Der Flughafen, einer der größten der Welt, soll im Oktober eröffnet werden.
Wahlbeobachter und Menschenrechtler kritisieren, dass ein Großteil der türkischen Medien unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung steht und der Opposition wenig Raum gibt. Wahlkampfreden von Erdogan dagegen übertragen die wichtigsten Sender mehrmals täglich und in voller Länge live.
Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisierte am Freitag „die massiven Verletzungen der Medienfreiheit im Land, die eine demokratische Auseinandersetzung nahezu unmöglich gemacht haben. Mithilfe einer Willkürjustiz werden seit dem Putschversuch vor zwei Jahren kritische Stimmen zum Schweigen gebracht“. Dutzende Journalisten säßen im Gefängnis. „Angesichts der massiven Einschränkungen der Medienfreiheit zweifeln wir am korrekten Verlauf der bevorstehenden Wahlen in der Türkei“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.