EU bietet Italien Hilfe im Flüchtlingsdrama an
Lampedusa/Kairo (dpa) - Tausende Flüchtlinge aus Tunesien stellen Italien und auch die EU vor eine neue Herausforderung. Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa bleibt die Lage gespannt, auch wenn am Dienstag zunächst keine weiteren Boote mit Verzweifelten aus Tunesien anlegten.
Das Auffanglager ist mit 2000 Menschen völlig überfüllt, konzipiert wurde es für 800. Auf Sizilien kamen erste Immigranten aus Ägypten an. Während die EU Hilfe für Italien ankündigte, entbrannte in Deutschland eine Debatte über die Aufnahme neuer Asylbewerber.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lehnt eine verstärkte Aufnahme tunesischer Flüchtlinge in Deutschland ab. Zugleich wies er am Dienstagabend Vorwürfe zurück, Deutschland schotte sich ab. „Wir können nicht die Probleme der ganzen Welt lösen“, mahnte der CDU-Politiker im ZDF. Außenminister Guido Westerwelle sagte der Tageszeitung „Die Welt“, natürlich müsse Europa seine Grenzen sichern. Aber noch viel wichtiger sei es, die Lebensbedingungen in Nordafrika zu verbessern.
Die Behörden auf Lampedusa vergleichen die Lage mit einem Pulverfass. Die Immigranten werden langsam auf andere Flüchtlingszentren auf Sizilien und dem italienischen Festland verteilt. 200 sollten noch am Dienstag über eine eigens für den Notstand eingerichtete Luftbrücke ausgeflogen werden.
Mehr als 5000 Tunesier hatten in den vergangenen Tagen Lampedusa auf der Flucht vor Unruhe und Armut überrannt. Die nur 20 Quadratkilometer große Insel zählt selbst nur 4500 Einwohner. Der Bürgermeister der Insel, Dino de Rubeis, habe ein Alkohol-Ausgabe-Verbot für Immigranten verhängt, um Unruhen vorzubeugen, hieß es in Medienberichten.
Der italienische Innenminister Roberto Maroni rechnet mit weiteren Flüchtlingen. Vor allem das „institutionelle Erdbeben“ in Ägypten sei ein Risiko, erklärte der Minister der ausländerfeindlichen Regierungspartei Lega Nord auf einer Sondersitzung in Catania auf Sizilien. Ein Boot mit Immigranten aus Ägypten landete am Dienstag an der Küste Siziliens. Wie italienische Medien berichteten, fing die italienische Küstenwache den Fischerkahn mit 32 Ägyptern vor Ragusa ab. Einem Teil der Insassen gelang die Flucht.
Im Gegensatz zu Tunesien hat Ägypten die Grenzkontrollen aber offenbar nicht gelockert, sondern sogar verschärft. Zahlreiche Drogenschmuggler sollen so festgenommen worden sein. Die ägyptische Küstenwache gehört nicht zur Polizei, sondern zur Armee.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR berichtete, mindestens vier Menschen seien bei der Flucht aus Tunesien nach Lampedusa ertrunken. Es werde befürchtet, dass Menschenhändler gerade junge Leute in Tunesien dazu überredeten, ein besseres Leben in Europa zu suchen. UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming erklärte am Dienstag in Genf, die meisten der mehr als 5000 Flüchtlinge seien junge Männer. Allerdings seien auch mindestens 20 Frauen und mehr als 200 Minderjährige, meist ohne Begleitung, dabei.
Die EU reagierte am Dienstag auf die italienischen Hilfsforderungen. „Wir wollen Italien finanzielle Hilfe gewähren und bereiten einen Einsatz der EU-Agentur Frontex vor“, sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel. Die Notfallhilfe könne „sehr rasch“ erfolgen und aus dem europäischen Flüchtlingsfonds kommen. Italien habe ein entsprechendes Hilfegesuch gestellt.
Der italienische Außenminister Franco Frattini sprach sich erneut für einen „Marshallplan“ für Tunesien aus. „Italien ist bereit, Tunesien zu unterstützen - mit Mitteln und über die 800 italienischen Firmen, die bereits in dem nordafrikanischen Land präsent sind“, sagte Frattini in einem Radiointerview. Am sinnvollsten sei eine „ökonomisch begleitete Rückführung der Flüchtlinge“. Auch hier brauche Italien jedoch die Hilfe Europas.
Den Vorschlag des italienischen Innenministers Roberto Maroni, das Militär einzusetzen, um die Flüchtlingswelle zu stoppen, hatte Tunis kategorisch abgelehnt. Maroni befürchtete, die Zahl der Flüchtlinge könnte bis auf 80 000 steigen.
In Deutschland plädierten Politiker von SPD, Grünen und Linke dafür, afrikanische Flüchtlinge auch in Deutschland aufzunehmen. SPD-Innenexperte Sebastian Edathy wies in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ darauf hin, dass die Asylbewerberzahlen insgesamt dramatisch gesunken seien und die Aufnahme eines bestimmten Kontingents in Deutschland verkraftbar sei. Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte in der „Rheinischen Post“: „Der Norden darf den Süden (...) nicht alleine lassen.“ Die Linke-Politikerin Ulla Jelpke sagte, Nordafrikas Freiheit dürfe nicht an der Festung Europa enden.