EU-Kommission setzt bei Migration auf Zuckerbrot und Peitsche
Straßburg (dpa) - In der Flüchtlingskrise will die EU-Kommission mit milliardenschweren Investitionen Länder in Afrika und im Nahen Osten dazu bewegen, Flüchtlingsströme in Richtung Europa zu stoppen.
„Wir schlagen eine Mischung positiver und negativer Anreize vor, um Jene zu belohnen, die mit uns effizient zusammenarbeiten und um sicherzustellen, dass es Konsequenzen für Jene gibt, die das nicht tun“, sagte der Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, vor dem Europaparlament in Straßburg.
Nicht kooperationsbereite Staaten sollen künftig bei der Vergabe von EU-Entwicklungsgeldern schlechter wegkommen, auch könnten ihre Handelsbeziehungen zur EU leiden. Auf die Frage, welche Nachteile unwilligen Ländern drohen könnten, vermied Timmermans vor Journalisten eine konkrete Antwort. Es gelte den Einsatz der Regelung zu vermeiden, sagte er.
Ziel der Kommission ist, dass Staaten wie Jordanien, Libanon, Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien Migranten auf deren Weg nach Europa aufhalten oder sie leichter wieder zurücknehmen. Die Brüsseler Behörde schlägt dazu „Migrationspartnerschaften“ mit diesen und anderen Staaten vor. Das „Engagement“ der EU mit Tunesien und Libyen solle intensiviert werden.
Im Gegenzug will die EU-Kommission mehr Geld unter anderem zur Verbesserung der Lage in Herkunfts- und Transitländern zur Verfügung stellen. Aus dem EU-Budget und von den EU-Staaten könnten so bis 2020 beinahe acht Milliarden Euro zusammenkommen. Die Behörde hofft, durch das Investitionsprogramm - etwa über Garantien für private Investoren - insgesamt bis zu 62 Milliarden Euro anschieben zu können.
„Wir wollen versuchen, Ordnung in die Migrationsströme zu bringen“, sagte Timmermans. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, man wolle einen „klugen Mix zwischen europäischen öffentlichen und privaten Investoren sowie internationalen Finanzinstitutionen“ erreichen.
Es gehe um neue Infrastrukturen, soziale Verbesserungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftliches Wachstum. Sie sprach von einer „kopernikanischen Wende“ im Vorgehen der EU-Kommission. Mit einer Reform der europäischen „Blue Card“-Regelung aus dem Jahr 2009 will die Behörde zudem mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte nach Europa locken oder zum Bleiben bewegen.
Die Vorschläge der Behörde stießen im Europaparlament auf Zustimmung und Kritik. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Gianni Pittella (Italien), begrüßte die Vorschläge. „Afrika darf nicht zu einem Käfig werden, aus dem Migranten nicht herauskommen.“ Jetzt müssten vor allem die EU-Mitglieder einen finanziellen Beitrag leisten.
„Wir werden auch Wohlstand abgeben müssen“, sagte der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU). „Wir müssen aber auch Europa beschützen vor neuen Zuwanderungswellen, vor denen auch die Europäer Angst haben.“ Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei sei zwar ein Vorbild, könne aber „nicht einfach kopiert werden“: „Wir brauchen individuelle Ansätze für jedes Land.“ Er bedauerte, dass die 28 Regierungen in den im November beschlossenen Nothilfefonds für Afrika von 1,8 Milliarden bisher nur 81 Millionen Euro eingezahlt hätten.
Der Vorsitzende der Liberalen-Fraktion, Belgiens Ex-Premier Guy Verhofstadt, kritisierte, dass die Kommission lediglich versuche, das Abkommen mit der Türkei für afrikanische Staaten zu kopieren. Er plädierte für die Einrichtung von Aufnahmezentren in Afrika, die von der EU betrieben und finanziert werden.
„Moralischen Bankrott“ warf der Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Philippe Lamberts (Belgien), der Kommission vor. Es gehe ihr um ein „Outsourcing unserer Grenzüberwachung“. Europa könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen: „Aber die gute Nachricht ist, dass das niemand von uns verlangt. Die Europäische Union muss nur den gerechten Anteil aufnehmen.“