Gaddafi reagiert auf anhaltende Luftschläge
Tripolis/Brüssel (dpa) - Nach schweren Luftangriffen der Koalition auf Ziele in Libyen hat die Führung in Tripolis am Dienstagabend einen Waffenstillstand angekündigt. Der libysche Ministerpräsident Al Baghdadi Ali al-Mahmoudi informierte darüber den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.
Die internationale Kritik an dem Militäreinsatz nahm indessen weiter zu, die russische Regierung bot eine Vermittlung in dem Konflikt in Nordafrika an. Nach Tagen des Zögerns wird nun auch die Nato aktiv: Das Bündnis begann am Dienstag mit einem Marineeinsatz zur Umsetzung des vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Waffenembargos gegen Libyen. Die Bundesregierung zog daraufhin alle deutschen Kräfte aus den Bündnisoperationen im Mittelmeer zurück.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon berichtete am Dienstagabend während eines Tunis-Besuchs von dem Waffenstillstandsangebot aus Tripolis. Wie Ban ausführte, hatte ihn Al-Mahmoudi persönlich angerufen und darüber informiert. Über die Auswirkung dieser Ankündigung auf die Fronten in Libyen lagen zunächst keine Berichte vor. Auch konnte die Aufrichtigkeit des Angebots vorerst nicht überprüft werden. Tripolis hatte schon am vergangenen Freitag, wenige Stunden nach Verabschiedung der UN-Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen, eine sofortige Feuerpause angekündigt, diese aber nicht eingehalten.
Von Nato-Truppen werden jetzt Schiffe auf dem Weg in libysche Häfen kontrolliert, sofern sie verdächtig sind, Waffen oder Söldner in das nordafrikanische Land zu bringen. Als Reaktion auf das Eingreifen der Nato wurden zwei Fregatten und zwei Boote der deutschen Bundesmarine mit insgesamt 550 Soldaten wieder unter nationale Führung gestellt. Das sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Nachrichtenagentur dpa. Etwa 60 bis 70 deutsche Soldaten, die bisher an einer Aufklärungsmission mit Awacs-Flugzeugen im Mittelmeerraum teilgenommen haben, würden abgezogen.
Deutschland beteiligt sich nicht direkt an der Militäraktion. Zur Entlastung der Bündnispartner in Libyen will die Bundesregierung aber bis zu 300 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan schicken. Sie sollen sich dort an Awacs-Aufklärungsflügen beteiligen.
Nach Angaben von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen stimmten die Regierungen der 28 Mitgliedstaaten auch einem heftig umstrittenen Operationsplan für die Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen zu. Der Operationsplan muss aber noch in die Tat umgesetzt werden. US-Präsident Barack Obama und sein französischer Kollege Nicolas Sarkozy einigten sich am Abend auf eine Einbindung der Nato in die Operation. Nach französischen Medienangaben verständigten sich die Staatschefs „über die Modalitäten der Nutzung der Nato-Kommandostruktur zur Unterstützung der Koalition“.
Obama kündigte eine baldige Übergabe der Führung des Libyen-Einsatzes an. Er gehe davon aus, dass europäische und arabische Länder in Kürze das Kommando übernehmen werden, sagte er in Chiles Hauptstadt Santiago. Zugleich bekräftige Obama seine Forderung nach einem Machtwechsel in Libyen: „Gaddafi muss gehen.“ In Paris forderte Außenminister Alain Juppé die Bildung eines Führungsgremiums, das die Einsätze und das weitere Vorgehen gegen Libyen koordinieren soll. Daran sollten neben der Arabischen Liga auch alle anderen Beteiligten an der Anti-Gaddafi-Koalition teilnehmen.
Bei einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Robert Gates bot Russlands Präsident Dmitri Medwedew am Dienstag die Vermittlung Moskaus im Libyen-Konflikt an. Moskau stehe für den Versuch bereit, den Streit möglichst friedlich beizulegen. Gates kündigte eine baldige Reduzierung der Luftangriffe auf Ziele in Libyen an.
Die Vereinten Nationen nahmen am Dienstag erstmals Kontakt zu den Aufständischen im Osten Libyens auf. In Tobruk kam UN-Sonderbeauftragter Abdul Ilah Chatib mit Mustafa Abdul Dschalil und anderen Vertretern der Rebellen zusammen, wie in Kairo aus dem UN-Büro verlautete. Dschalil ist Vorsitzender des Nationalrats, wie die Übergangsregierung der Rebellen heißt.
Erstmals seit Beginn ihres Militäreinsatzes in Libyen verlor das internationale Bündnis außerdem einen Kampfjet: Eine US-Maschine vom Typ F-15E Strike Eagle stürzte wegen eines technischen Defekts im Nordosten des Landes ab, wie das US-Afrikakommando in Stuttgart mitteilte. Beide Piloten hätten sich mit dem Schleudersitz retten können und seien in Sicherheit. Daneben kam es am Dienstag zu einem ersten direkten Luftkampf, in dessen Verlauf nach Angaben des Senders Al-Dschasira ein libyscher Jet bei Bengasi abgeschossen wurde.
Der Einsatz des Bündnisses konzentrierte sich in der Nacht zum Dienstag vor allem auf Militärflughäfen und Stützpunkte der libyschen Marine. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums wurden die Truppen Gaddafis bei ihrem Versuch, die Rebellen-Hochburg Bengasi einzunehmen, gestoppt. Die Operation zeige einen „echten Effekt“.
Wie US-Marinekommandant Samuel Locklear sagte, habe Gaddafi aber nicht auf den vom Bündnis geforderten Abzug aller Truppen aus einigen Städten reagiert. Jetzt werde geprüft, wie Gaddafi zum Rückzug seiner Truppen bewegt werden könne. Die Truppen des Diktators hätten sich bisher nicht aus den Städten Misurata, Al-Sawija und Al-Abschdabija zurückgezogen. „Sie greifen Zivilisten in Misurata an und verletzen die Resolution des UN-Sicherheitsrates.“
Über die Angriffe in der Nacht zum Dienstag sagte ein Sprecher der libyschen Regierung, die Bomben und Raketen der westlichen Koalition hätten Ziele in den Städten Tripolis, Al-Sawija, Misurata, Sirte und Sebha getroffen. „Es gab zahlreiche Opfer, darunter auch Zivilisten, vor allem auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Kardabija in Sirte.“
Deutschland will noch in dieser Woche ein Öl- und Gasembargo gegen Libyen in der EU durchsetzen. „Es kann nicht sein, dass einerseits militärische Aktionen geflogen werden, andererseits aber immer noch nicht ausgeschlossen ist, dass noch Öl- und Gasgeschäfte mit dem System Gaddafi stattfinden“, sagte Außenminister Guido Westerwelle. „Es muss ausgeschlossen sein, dass der Diktator an frisches Geld kommt.“ Westerwelle verteidigte erneut die Entscheidung, die Bundeswehr aus Kampfhandlungen gegen Libyen herauszuhalten.