Mehr Dialog mit Russland Nato-Generalsekretär: „Wir wollen kein neues Wettrüsten“
Brüssel (dpa) - Muss die Nato auf das Atomprogramm von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un reagieren? Und wie geht es weiter im schwierigen Verhältnis zu Russland?
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (58) über die sicherheitspolitischen Herausforderungen des Jahres 2018.
Frage: Herr Generalsekretär, ist die Welt im Jahr 2017 noch einmal unsicherer geworden?
Antwort: Die vermutlich bedeutendste Veränderung ist Nordkorea geschuldet. Das Land hat seine Anstrengungen zur Entwicklung von Atomwaffen und Langstreckenraketen noch einmal verstärkt. Sie haben bereits zuvor daran gearbeitet, aber jetzt testen sie noch mehr und sie testen Raketen mit größerer Reichweite und größere atomare Sprengköpfe. Unter dem Strich geht aber nicht alles in die falsche Richtung. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat in Syrien und im Irak fast ihr gesamtes Einflussgebiet verloren. Die Welt wird gefährlicher, aber gleichzeitig wird die Nato stärker.
Frage: Die Nato geht davon aus, dass Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un mit seinen Raketen mittlerweile auch jeden Staat in Europa erreichen kann. Gleichzeitig sagen Sie, dass es keine Pläne gibt, das derzeit auf mögliche Bedrohungen aus dem Iran ausgerichtete Raketenabwehrschild des Bündnisses umzubauen. Denken Sie wirklich, dass Abschreckung ausreicht, wenn man es mit jemandem zu tun hat, der unberechenbar scheint - vielleicht sogar verrückt ist?
Antwort: Die Nato-Staaten haben jahrzehntelange Erfahrung mit nuklearen Bedrohungen. Abschreckung hat sich als effektive Antwort erwiesen. Obwohl es Atomraketen gab, hat es keinen Angriff gegeben. Aber das ist nicht unsere einzige Antwort. Wir üben so viel Druck wie möglich auf Nordkorea aus - politisch und wirtschaftlich. Eine besondere Verantwortung haben allerdings China und Russland, weil sie Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und gleichzeitig Nachbarländer sind.
Frage: Die Nato will im kommenden Jahr zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges wieder seine Kommandostrukturen ausbauen. Stimmt es, dass es dort künftig rund 8000 statt derzeit 6800 Stellen geben soll?
Antwort: Die exakten Zahlen stehen noch nicht fest, aber ich erwarte, dass sie steigen werden. Wir müssen in der Lage sein, Terrorismus zu bekämpfen. Und wir müssen darauf reagieren, dass wir es wieder mit einem selbstbewussteren Russland zu tun haben. Zugleich muss klar sein: Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg und wir wollen auch kein neues Wettrüsten. Wir wollen politischen Dialog mit Russland - auch wenn er nicht einfach ist.
Frage: Vor allem Deutschland dringt darauf, den Dialog zu intensivieren - nicht nur den politischen im Nato-Russland-Rat - sondern auch den im Bereich der Militärs. Sehen Sie Chancen, dass es im kommenden Jahr dazu kommt? Alliierte wie die USA haben sich zuletzt eher kritisch geäußert...
Antwort: Ich gehe davon aus, dass wir mehr Treffen haben werden, und dass wir auch die militärischen Kommunikationskanäle mehr nutzen werden. In beiden Bereichen gibt es Bewegung und das ganze Bündnis steht dahinter. Zuletzt haben zum Beispiel sowohl der Vorsitzende des Militärkomitees als auch der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa Gespräche mit dem russischen General Waleri Gerassimow geführt - nach einer langen Zeit ohne Kontakt.
ZUR PERSON: Der Norweger Jens Stoltenberg (58) ist seit Oktober 2014 Generalsekretär der Nato. Zuvor war er insgesamt fast zehn Jahre Ministerpräsident seines Heimatlandes. In dieser Funktion erlebte er auch die Anschläge des rechtsextremen Massenmörders Anders Behring Breivik in Oslo und auf Utøya im Sommer 2011. Stoltenberg ist Vater von zwei erwachsenen Kindern. Zu seinen Hobbys zählen Skilanglauf und Radfahren. Sein Vertrag als Nato-Generalsekretär wurde kürzlich vorzeitig bis Ende September 2020 verlängert.