Gauck in Athen: Griechen fordern Geld für Nazi-Verbrechen
Athen (dpa) - Bundespräsident Joachim Gauck ist in Griechenland mit unerwartet massiven Forderungen nach deutschen Reparationen für Verbrechen im Zweiten Weltkrieg konfrontiert worden.
Staatspräsident Karolos Papoulias verlangte bei einem gemeinsamen Auftritt mit Gauck vor der Presse, Verhandlungen über Entschädigungen so schnell wie möglich zu beginnen. Demonstrationen gegen Gauck gab es nicht. Vereinzelt waren Protestrufe zu hören.
Auch der Linken-Spitzenpolitiker Alexis Tsipras verwies in einem Gespräch mit Gauck nach Angaben von Teilnehmern auf die „materielle Dimension“ deutscher Schuld hin und bekräftigte die Forderung nach Reparationen. Gauck erwiderte gegenüber Papoulias, der Rechtsweg dazu sei abgeschlossen. „Ich werde mich dazu nicht äußern. Und ganz gewiss nicht anders als meine Regierung.“ Die Bundesregierung sieht die Entschädigungsfrage als erledigt an.
Das Thema belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten, hat durch die desolate Lage der griechischen Finanzen in der Eurokrise aber weitere Dringlichkeit erhalten. Neben Entschädigungen für Sachwerte und Menschenleben geht es um einen Zwangskredit, den die Bank von Griechenland 1942 der Reichsbank gewährt hatte.
Die Forderungen insgesamt werden in Griechenland auf bis zu 160 Milliarden Euro geschätzt, die Zwangsanleihe auf mehrere Milliarden Euro. Die Nazis hatten sie noch 1945 auf knapp 500 Millionen Reichsmark beziffert.
Am Vormittag war Gauck zum offiziellen Auftakt seines Staatsbesuchs in Griechenland mit militärischen Ehren begrüßt worden. Der Bundespräsident wird von seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt begleitet. Die griechische Polizei hinderte während des Besuchs rund 500 Demonstranten daran, vor dem Parlament in Athen gegen Entlassungen und Arbeitslosigkeit zu demonstrieren.
Gauck sagte den Griechen die Freundschaft Deutschlands und weitere Unterstützung bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise zu. „Wir Deutsche stehen in Solidarität zu unseren Partnern in Griechenland - egal welche Schlagzeilen es gibt.“ Die bisherigen Reformanstrengungen verdienten Anerkennung und Respekt.
Der Bundespräsident erinnerte auch daran, dass viele Griechen während der Militärdiktatur bis 1974 in Deutschland Zuflucht gesucht hätten, unter ihnen der heutige Staatspräsident Papoulias. „Dieses gastfreundliche und Ihnen freundschaftlich gesonnene Deutschland existiert. Das ist das heutige Deutschland“, sagte Gauck. „Die allermeisten Deutschen hegen freundschaftliche Gefühle gegenüber Griechenland“, fügte Gauck hinzu. Allerdings seien unter Freunden auch gelegentlich kontroverse Debatten normal.
Bei seinem Besuch am Freitag in dem nordwestgriechischen Ort Lingiades will Gauck die Schuld der Deutschen für Verbrechen während der Besatzungszeit anerkennen und um Vergebung bitten. In Lingiades waren bei einem Massaker der Wehrmacht 1943 über 80 Menschen ums Leben gekommen. In Ioannina wird Gauck auch der zahlreichen jüdischen Opfer der Deutschen in Griechenland gedenken.
Der Bundespräsident kündigte die Schaffung eines „Zukunftsfonds“ an, mit dem Erinnerungsarbeit gefördert werden soll. Den Deutschen solle bewusst gemacht werden, wie viel von den Verbrechen ihrer Vorfahren vergessen worden ist. Auch ein deutsch-griechisches Jugendwerk solle die Freundschaft zwischen beiden Ländern vertiefen.
Bei einer europapolitischen Rede am Donnerstagabend bezeichnete es Gauck als „schweren Fehler“, einen Währungsverbund ohne ausreichende Gemeinsamkeit in der Finanzpolitik geschaffen zu haben. Er verteidigte aber die europäischen Gremien gegen pauschale Kritik. „Wir brauchen gemeinsame Institutionen und eine gemeinsame Politik, um das zu regeln, was die Nationalstaaten nicht mehr sinnvoll allein regeln können.“ Gauck mahnte auch Solidarität unter den Griechen selbst zur Überwindung der Krise an.