Gaza-Feuerpause lenkt Blick auf massive Zerstörungen
Gaza/Tel Aviv/Paris (dpa) - Eine zwölfstündige Waffenruhe im Gazastreifen hat den Blick auf die verheerenden Zerstörungen gelenkt, die der Krieg zwischen Israel und der Hamas bisher verursacht hat.
Rettungskräfte und Reporter erreichten erstmals das zuvor schwer umkämpfte Stadtviertel Sadschaija im Osten der Stadt Gaza. Helfer bargen dort und in anderen bisherigen „Todeszonen“ 130 Leichen, wie der Chefs der palästinensischen Rettungsdienste, Aschraf al-Kidra, mitteilte. Damit stieg die Zahl der Opfer in dem seit 8. Juli tobenden Konflikt auf 1030. Rund 6000 weitere Palästinenser wurden verletzt. Derweil gingen bei einem Außenministertreffen in Paris die diplomatischen Bemühungen weiter, den Krieg zu beenden.
In den umkämpften Gebieten wurden ganze Häuserreihen durch Bombardements dem Erdboden gleichgemacht. Helfer und zurückkehrende Bewohner bahnten sich einen Weg durch Trümmerfelder und suchten nach Habseligkeiten. Einzelne Menschen begannen damit, ihre toten Angehörigen auf freien Flächen zwischen den Häusern zu begraben. Mehr als zwei Drittel der Opfer sind nach palästinensischen Angaben Zivilisten. Auf israelischer Seite kamen bislang 40 Soldaten und drei Zivilisten um.
Israel und die Palästinenser-Fraktionen hatten sich am Freitag darauf geeinigt, aus humanitären Gründen die Waffen zwischen 07.00 und 19.00 Uhr schweigen zu lassen. Nach tagelangen Luftangriffen und Bodenoperationen des israelischen Militärs nutzten viele Palästinenser in dem dicht besiedelten Gebiet die Möglichkeit, sich mit Nahrung und Medikamenten einzudecken. Die Straßen füllten sich wieder mit Menschen, in den Lebensmittelmärkten herrschte Andrang, wie ein dpa-Korrespondent aus der Stadt Gaza berichtete.
Die Außenminister aus sieben Ländern riefen Israel und die militanten Palästinenser beim Nahost-Krisentreffen in Paris auf, die Feuerpause zu verlängern. „Wir sind übereingekommen, die Parteien zu einer Verlängerung des Waffenstillstandes aus humanitären Gründen aufzurufen“, erklärte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Rande der Gespräche.
„Wir müssen zudem die Zeit nutzen, um Verhandlungen für einen dauerhaften Waffenstillstand vorzubereiten“, sagte Steinmeier weiter. Gaza dürfe nicht länger „ein Waffenlager für die Hamas“ bleiben, zudem müssten „die Lebensbedingungen der Menschen im Gazastreifen nachhaltig verbessert werden“.
Die Außenminister waren kurzfristig in der französischen Hauptstadt zusammengekommen, um über Wege zu einem Ende der Gewalt im Gazastreifen zu beraten. Neben Steinmeier und dem französischen Außenminister Laurent Fabius nahmen an den Gesprächen auch deren US-amerikanischer Amtskollege John Kerry, Philip Hammond aus Großbritannien sowie Vertreter aus Italien, Katar, der Türkei und der EU teil.
Die Dringlichkeit einer Einstellung der Kämpfe unterstrich ein weiterer tragischer Vorfall: Israelische Artilleriegranaten trafen in der Nacht zum Samstag, kurz vor Inkrafttreten der Feuerpause, ein Wohnhaus in Chan Junis. 20 Menschen - unter ihnen zehn Kinder - wurden dabei getötet und viele weitere verletzt, wie die palästinensischen Rettungsdienste mitteilte. Die Opfer gehörten alle der selben Familie an.
Kerrys Bemühungen um eine Waffenruhe waren am Freitag in ein entscheidendes Stadium getreten. Die israelische Regierung lehnte seinen Vorschlag, sieben Tage lang die Kämpfe ruhen zu lassen und über die Forderungen der Hamas zu verhandeln, in dieser Form ab. Das Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und die Hamas einigten sich schließlich auf Drängen von Kerry und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zumindest auf die zwölfstündige Feuerpause am Samstag.
In Deutschland demonstrierten mehr als 1000 Menschen in mehreren Städten erneut gegen das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen und für eine andauernde Waffenruhe. Die Teilnehmerzahlen waren teilweise deutlich geringer als erwartet. Antisemitische Parolen wie in vergangenen Tagen oder andere Zwischenfälle wurden zunächst nicht bekannt. Kundgebungen gab es unter anderem in München, Frankfurt, Gießen, Hamburg und Kiel. Auch in Paris und London gingen Menschen auf die Straße.
Lufthansa, Air Berlin und Air France bieten inzwischen wieder Flüge nach Tel Aviv an. Viele Fluggesellschaften hatten den Ben-Gurion-Airport wegen Raketengefahr im israelisch- palästinensischen Konflikt mehrere Tage lang nicht angeflogen.