Gedächtnislücken: Chirac-Prozess ohne Chirac
Paris (dpa) - Der frühere französische Staatschef Jacques Chirac muss nicht persönlich zu seinem Strafprozess wegen möglichen Amtsmissbrauchs erscheinen und darf sich stattdessen vertreten lassen.
Zum erneuten Auftakt der Verhandlungen um eine Affäre aus Chiracs Zeit als Pariser Bürgermeister genehmigte das Gericht am Montag einen entsprechenden Antrag des Angeklagten. Nach einem medizinischen Gutachten leidet der Altpräsident an Gedächtnisstörungen und kann auf Fragen nach seiner Vergangenheit nicht mehr antworten. „Jacques Chirac war krank und ist krank“, sagte sein Anwalt Jean Veil.
Der 78-jährige Chirac ist der erste französische Präsident, der sich vor Gericht verantworten muss. Er ist angeklagt, in seiner Zeit als Bürgermeister von Paris (1977-1995) Parteifreunden aus Gefälligkeit Jobs zugeschustert zu haben. 28 Männer und Frauen sollen auf der Gehaltsliste des Rathauses gestanden haben, in Wirklichkeit aber vor allem für die UMP-Vorgängerpartei RPR gearbeitet haben. Chirac hat bislang stets bestritten, etwas Illegales getan zu haben.
Im Fall eines Schuldspruchs drohen dem Ex-Präsidenten bis zu zehn Jahre Haft und 150 000 Euro Strafe. Untreue, Unterschlagung öffentlicher Gelder und Amtsmissbrauch lauten die Anklagepunkte. Die ersten Vernehmungen sollen an diesem Dienstag beginnen.
Um die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zu schmälern, hatten Chirac und die UMP sich im vergangenen Jahr mit dem Rathaus auf eine Entschädigungszahlung geeinigt. Gegen 2,2 Millionen Euro verzichtete die Stadt darauf, als Nebenklägerin aufzutreten.
Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft sagte am Montag, dass die Anwesenheit Chiracs zwar wünschenswert wäre. Er plädierte aber dafür, dass Chirac sich durch die Anwälte vertreten lassen solle. „Es wäre ungerecht und inakzeptabel zu behaupten, dass Chirac sich dem Verfahren entziehen wolle“, sagte Chirac-Anwalt Veil. Schließlich habe sein Mandant sich zu der Angelegenheit problemlos vernehmen lassen.
Chiracs Adoptivtochter Anh Dao Traxel sagte der Nachrichtenagentur AFP, der 78-Jährige habe sie bei einem Treffen im Februar nicht einmal mehr erkannt. Ihr Adoptivvater sei ein „alter kranker Mann“. Es sei „unwürdig“ und „zu spät“ ihm den Prozess zu machen.
Im März war der erste Prozess wegen einer Verfassungsklage eines Mitangeklagten gleich nach seiner Eröffnung abgebrochen worden. Diese wurde später abgewiesen. Die Organisation Anticor, die als Nebenklägerin auftritt, warf Chirac am Montag vor, von einer Ausnahmejustiz zu profitieren. Chirac war während seiner Amtszeit vor jeder Strafverfolgung geschützt gewesen. Die Anklage wurde erst nach seinem Ausscheiden aus dem Amt möglich.