Enge Kontakte des Westens zu Libyens Geheimdienst
Washington/London (dpa) - In Libyen gefundene Dokumente enthüllen nach Presseberichten eine enge Kooperation zwischen dem US-Geheimdienst CIA und dem Gaddafi-Regime. So habe die CIA unter anderem achtmal Terrorverdächtige in das für seine Folterpraxis bekannte Land zur Befragung geschickt.
Auch der britische Geheimdienst MI-6 habe kooperiert und sogar für das libysche Regime Telefonnummern überprüft, meldete die „New York Times“.
Die Zusammenarbeit sei nach 2004, als das Regime von Muammar al-Gaddafi sein Programm für Massenvernichtungswaffen aufgab, weit intensiver gewesen als bisher bekannt. Es gebe auch Dokumente, aus denen hervorgehe, dass die Amerikaner Gaddafi einen Text für eine Rede formulierten, in dem es um den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen ging und die ihn in einem positiven Licht erscheinen ließ. Mit der Abkehr von den Waffen hatte Gaddafi die Annäherung an den Westen geebnet.
Das Verhältnis beider Seiten sei so eng gewesen, dass die CIA auf eine „dauerhafte Präsenz“ in Libyen hingearbeitet habe, wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf eine Notiz von Stephen Kappes meldet, damals die Nummer Zwei für verdeckten CIA-Operationen.
Die Dokumente waren von Forschern der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und Journalisten in einer Geheimdienst-Zentrale in Tripolis gefunden und ausgewertet worden. Aus ihnen geht auch hervor, dass Abdelhakim Belhadsch, der neue Militärkommandant von Tripolis, im Jahr 2004 zusammen mit seiner schwangeren Frau auf dem Flughafen von Bangkok von CIA-Agenten überwältigt und nach Tripolis verschleppt worden war.
Belhadsch war nach eigenen Angaben von den CIA-Agenten in Bangkok gefoltert worden. Er hatte der radikalen Kämpfende Islamische Vereinigung in Libyen (LIFG) angehört, die von den USA als Terrororganisation eingestuft war. Nach eigenem Bekunden hatte aber die islamistische Organisation nur den Sturz Gaddafis im Sinne gehabt und ihre Verbindungen zur Al-Kaida von Osama bin Laden abgebrochen.
Weder die CIA noch das britische Außenministerium wollten sich zu den nun bekanntgewordenen Dokumenten äußern. CIA-Sprecherin Jennifer Youngblood sagte laut „New York Times“: „Es kann nicht überraschen, dass die Central Intelligence Agency mit ausländischen Regierungen zusammenarbeitet, um dabei zu helfen, unser Land vor Terrorismus und anderen tödlichen Bedrohungen zu schützen.“
Das britische Außenministerium teilte mit, man äußere sich zu Geheimdienst-Fragen nicht. Außenminister William Hague sagte in einem Interview mit dem Sender Sky News am Samstag, alle Diskussionen drehten sich derzeit um die Pläne für die Zukunft Libyens. „Zum Thema dieser scheinbaren Offenlegungen: Zuerst einmal beziehen sie sich auf einen Zeitraum unter der vorherigen Regierung, daher weiß ich nichts darüber und was sich hinter den Kulissen abspielte.“ Außerdem kommentiere er Geheimdienst-Fragen ohnehin nicht.
Das „Wall Street Journal“ schrieb über eine enge Verbindung des US-Geheimdienstes CIA und seines libyschen Pendants während der Präsidentschaft von George W. Bush. Die USA hätten Terrorverdächtige für Verhöre nach Libyen gebracht und auch Fragen vorgeschlagen, die gestellt werden sollten. Laut „New York Times“ soll es in einem Dokument eine Liste mit 89 Fragen gegeben haben.
Peter Bouckaert von Human Rights Watch nannte die Verbindungen zwischen Washington und dem Gaddafi-Regime „ein sehr dunkles Kapitel in der Geschichte der US-Geheimdienste“. Es sei „ein Schandfleck“, dass man „mit diesen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat, die stark Misshandlungen einsetzen“, sagte er im US-Fernsehsender CBS.
Die britische Zeitung „The Independent“ (Samstag) berichtete, die Dokumente seien in den privaten Büros des früheren Geheimdienstchefs Mussa Kussa gefunden worden. Kussa war zuletzt als Außenminister tätig und hatte sich im März nach London abgesetzt. Kussa, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, und sein britischer Kollege hätten enge Beziehungen unterhalten. Es seien sogar regelmäßig Geschenke ausgetauscht worden.
Der Übergangsrat der neuen Machthaber in Libyen will in der kommenden Woche von Bengasi nach Tripolis umziehen, wie sein Vorsitzender Mustafa Abdul Dschalil laut libyschen Rundfunkberichten am Samstag ankündigte. Vor knapp zwei Wochen hatten Aufständische die Truppen Gaddafis aus Tripolis vertrieben. Einzelne Minister waren danach bereits nach Tripolis gereist.
Der Übergangsrat, die zivile Führung der Aufständischen, hatte sich vor mehr als sechs Monaten in Bengasi gegründet, nachdem die Gaddafi-Truppen von dort abgezogen waren. Derzeit sind nur mehr noch einzelne Gebiete wie die Küstenstadt Sirte, die Ortschaft Bani Walid und Landstriche im Süden unter der Kontrolle Gaddafi-loyaler Verbände. Auch der Ex-Diktator und seine Söhne werden dort vermutet.
In der libyschen Hauptstadt normalisierte sich die Lage am Samstag weiter. Ein dpa-Korrespondent sah erstmals wieder Polizisten in größerer Zahl auf den Straßen und Fahrzeuge der Müllabfuhr, die mit dem Abtransport des Abfalls der letzten zwei Wochen begannen. Zudem öffneten die meisten Geschäfte wieder. Ihre Schließung hatte in den letzten Tagen auch eher eine längere Feiertagsperiode im Anschluss an den Fastenmonat Ramadan verursacht.