Grünes Licht für die neue EU-Kommission
Die Aufstellung von Spitzenkandidaten bei der Wahl im Mai galt als großes Demokratie-Experiment. Es scheint geglückt.
Brüssel. Schafft er es? Oder schafft er es nicht? Wochenlang war unklar, ob Jean-Claude Juncker pünktlich zum 1. November einer der mächtigsten Männer Europas wird. Am Mittwoch konnte der 59 Jahre alte Luxemburger nun erleichtert aufatmen. Mit großer Mehrheit stimmte das Europaparlament „seiner“ neuen EU-Kommission zu. Für Deutschland wird wie bisher Günther Oettinger (61) in Brüssel arbeiten.
Die Verantwortung, die auf den Schultern der 18 Männer und neun Frauen um Juncker lastet, ist groß. Gerade in Zeiten, in denen Europa-kritische Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) oder der Front National in Frankreich immer mehr Zulauf erhalten. Die Kommission verwaltet mit rund 33 000 Mitarbeitern nicht nur die EU. Sie schlägt auch neue Gesetze vor, sie kontrolliert die Einhaltung des EU-Rechts durch die Mitgliedsstaaten, und sie vertritt die EU international.
„Entweder uns gelingt es, Europa den europäischen Bürgern näher zu bringen, oder wir scheitern“, sagte Juncker am Mittwoch zur Vorstellung seines Teams vor dem Parlament. Er wolle Schluss mit einem Regierungsstil machen, bei dem jeder Kommissar in seinem Kirchturm sitze. Es sei die „Kommission der letzten Chance“.
Das konnte als böser Seitenhieb auf seinen Vorgänger José Manuel Barroso verstanden werden. Der Portugiese hatte sich in den vergangenen Jahren viel Kritik aus dem Parlament anhören müssen. Ihm war es zu Beginn seiner zwei Amtszeiten nicht gelungen, sein Team pünktlich an den Start zu bringen. Juncker schaffte dies, obwohl er eine Kandidatin für die Kommission wegen fehlender Rückendeckung aus dem Parlament austauschen musste.
Ob Juncker Erfolg hat, dürfte allerdings wesentlich von der Entwicklung der europäischen Wirtschaft abhängen. „Wenn es uns nicht gelingt, wieder Wachstumsraten von mehr als zwei Prozent zu erzielen, wird es in etlichen Ländern zu ernsten politischen Krisen kommen“, warnen EU-Diplomaten in Brüssel. Vor allem Frankreich stehe mit dem Rücken zur Wand.
Schon jetzt kann sich der langjährige luxemburgische Premierminister nur darüber freuen, dass ein beispielloses Brüsseler Demokratie-Experiment geglückt ist. Zum ersten Mal wurden vor der Europawahl im Mai europäische Spitzenkandidaten aufgestellt. Wochen nach dem Urnengang war allerdings noch unklar, ob die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wirklich Wahlgewinner Juncker zum neuen Kommissionspräsidenten küren.
Über diese Entwicklung zeigte sich am Mittwoch auch nochmals der Wahlverlierer der Europawahl Martin Schulz (58) glücklich. „Bei den vorangegangenen Wahlen hatten wir den Mut, auf europäischer Ebene mehr Demokratie zu wagen. Nun ist es an der Zeit, mehr Politik zu wagen“, sagte der deutsche SPD-Politiker aus Würselen bei Aachen. Als alter und neuer Präsident des EU-Parlaments will er eng mit dem konservativen Juncker zusammenarbeiten.