Juncker will mit neuer EU-Kommission Wirtschaft ankurbeln
Straßburg (dpa) - Die neue EU-Kommission kann am 1. November an den Start gehen. Das Europaparlament stimmte am Mittwoch mit großer Mehrheit für das Team des neuen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.
Dazu gehört der bisherige Energiekommissar Günther Oettinger aus Deutschland, der sich künftig um die digitale Wirtschaft kümmern soll.
423 Parlamentarier stimmten mit Ja, 209 dagegen, 67 enthielten sich der Stimme. Die Grünen lehnten die neue Kommission ab, weil sie ihrer Ansicht nach falsche Schwerpunkte setzt. „Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz scheinen in dieser Kommission nur eine untergeordnete Rolle zu spielen“, sagte ihre Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Die drei FDP-Abgeordneten stimmten ebenfalls gegen die Kommission, weil sie eine „wirtschafts- und finanzpolitische Irrfahrt“ befürchten. „Der Stabilitätspakt darf nicht erneut aufgeweicht werden“, sagte der Vorsitzende der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff.
In seiner Rede zur Abstimmung kündigte Juncker an, noch vor Weihnachten sein 300 Milliarden Euro schweres Investitionspaket zum Anschub der Konjunktur vorzustellen. Es bestehe Eile. „Volkswirtschaften, in denen nicht investiert wird, können nicht wachsen. Volkswirtschaften, die nicht wachsen, können keine Beschäftigung sicherstellen“, sagte der Luxemburger.
Ohne Details zu nennen, machte Juncker deutlich, dass er von der Wirtschaft Engagement verlangen wird. Sie trage wie der Staat Verantwortung für Arbeitsplätze. „Wir müssen Sorge dafür tragen, dass durch intelligentes Einbringen öffentlicher Geldmittel die Privatinitiative angekurbelt wird“, erklärte Juncker. Er betonte dabei den digitalen Binnenmarkt. „ Der Kollege Oettinger wird sich um dieses wichtige Sachgebiet kümmern“ . Die Investitionen in die digitale Agenda dürften seiner Ansicht nach einen Wachstumsschub von 250 Milliarden Euro in den nächsten Jahren zur Folge haben.
Die Debatte um den europäischen Stabilitätspakt bezeichnete er als überflüssig. „Die Regeln werden nicht geändert.“ Die Spielräume für Flexibilität müssten allerdings genutzt werden.
Außer Juncker, den das Parlament bereits im Juli bestätigt hat, sitzen 27 Kommissare in dem Kollegium, darunter neun Frauen. Die Kommission schlägt EU-Gesetze vor und überwacht deren Einhaltung. Jedes EU-Mitgliedsland entsendet einen Kommissar. Die letzten beiden Kommissionskandidaten hatten erst am Montag die Hürde der Anhörung im Parlament genommen. Der Slowake Maros Sefcovic und die Slowenin Violeta Bulc hatten sich den Fragen der Parlamentarier gestellt.
In die Kritik gerieten Währungskommissar Pierre Moscovici aus Frankreich und der britische Finanzmarktkommissar Jonathan Hill. Für Liberale und Grüne sind beide eine Fehlbesetzung. Juncker habe nun gleich zweimal den Bock zum Gärtner gemacht, sagte Lambsdorff. In einem Tagesthemen-Interview sagte Juncker dazu: „Ein Brite kann den Briten besser erklären, was in Sachen Finanzmarktordnung passiert, ein Franzose kann den Franzosen besser erklären, was in Sachen Konsolidieren, Sanieren und Sparen gemacht werden muss. Das geht schon in Ordnung, das ist wohlüberlegt.“
Noch unter der alten EU-Kommission wird derzeit nach Informationen des „Handelsblatt“ erwogen, die in der Öffentlichkeit stark umstrittenen Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) aus den Verhandlungen mit den USA über ein Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) herauszunehmen. „Wenn es uns gelänge, die beschriebenen Nachteile zu verhindern oder zu parieren, wäre dies die stärkste Maßnahme, der Anti-TTIP-Kampagne zu begegnen, eine neue Kommunikation zu starten und zu zeigen, dass die Kommission auf die Öffentlichkeit eingeht“, schreiben Mitarbeiter der Generaldirektion Handel laut der Zeitung in einem internen Papier.
„Ich werde es nicht hinnehmen, dass die Zuständigkeit der Gerichte in den Mitgliedstaaten durch Sonderregelungen für Konflikte zwischen einem Investor und einem Staat beschnitten wird“, sagte Juncker dazu am Mittwoch vor dem Parlament. Ohne die Zustimmung seines sozialdemokratischen Stellvertreters Frans Timmermans werde es im TTIP keine Investorenschutzklausel geben. Unter anderem SPD-Politiker fordern, kritische Bereiche wie diese aus dem Paket zu streichen. Kommissionsexperten warnen allerdings, dass sich ein solcher Schritt negativ auf die europäische Verhandlungsposition auswirken könnte.