Folgt auf Magdeburger das Erfurter Modell?

Die Regierungsbildung in Thüringen hat eine lange politische Vorgeschichte, die voller Tabubrüche ist und 1994 beginnt.

Foto: Martin Gerten dpa (zu Hintergrund dpa 4205 "„Rote Socken“ im Wahlkampfstreit" vom 01.09.2009) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Erfurt. 25 Jahre nach dem Mauerfall freunden sich SPD und Grüne in Thüringen mit dem Gedanken an, einen Ministerpräsidenten der Linkspartei zu akzeptieren. Ein Tabubruch. Aber beileibe nicht der erste.

„Eine Zusammenarbeit mit ihr kommt nicht in Frage.“ So stand es in der „Dresdner Erklärung“ vom August 1994. Damit suchten sich der damalige SPD-Chef Rudolf Scharping und seine Partei von der PDS zu distanzieren, die aus der alten DDR-Staatspartei SED entstand und mittlerweile in der Linkspartei aufgegangen ist. Doch das Dokument von Dresden war schon zum Zeitpunkt seines Erscheinens politisch überholt.

Am 21. Juli 1994 hatte sich der SPD-Politiker Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt zum Chef einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen lassen — auch mit Stimmen der PDS. Dieses sogenannte Magdeburger Modell, bei der die SED-Erben fortan gewissermaßen unsichtbar mit am Kabinettstisch saßen, markiert die Geburtsstunde eines rot-rot-grünen Bündnisses.

In den folgenden Jahren verblasste dieses Feindbild immer stärker. 1998 kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu ersten rot-roten Koalition, was auch die SPD-Spitze zum Umdenken veranlasste: Fortan sollten die Landesverbände über ihr Verhältnis zur PDS befinden. Damit war die „Dresdner Erklärung“ endgültig Makulatur. Vier Jahre später schlugen die Wellen der Empörung noch einmal haushoch. Ausgerechnet in Berlin machte Klaus Wowereit (SPD) mit den Post-Sozialisten gemeinsame Sache. Der rot-rote Senat regierte bis 2011. Und das weitgehend reibungslos. Sacharbeit statt Klassenkampf, hieß die Devise.

Wann immer Rot-Rot auf der Tagesordnung stand, hatte die SPD die stärkeren Bataillone. In Thüringen ist es umgekehrt. Um nicht auf ewig in einer großen Koalition gefangen zu sein, akzeptiert die SPD einen dunkelroten Ministerpräsidenten und damit ganz offen den Verlust des Führungsanspruchs im linken Parteienspektrum. Im Westen ist dieses Manko seit 2011 offenkundig. Damals wurde Baden-Württemberg grün-rot — aus SPD-Sicht genauso ein Tabubruch wie bald in Thüringen.

Und die Union? Ihre Koalitionsspiele sind zweifellos weniger spektakulär. Schwarz-Grün wie jetzt in Hessen regt keinen wirklich auf. In Erinnerung bleibt nur das Jahr 2001, als die Hamburger CDU mit der rechtspopulistischen Schill-Partei kurz ins Regierungsbett stieg. Allerdings wird das Koalitionsgeschäft auch für die Union nicht leichter, nachdem die FDP mangels Masse ausfällt. So könnte es auch bei den C-Parteien womöglich schon bald zu einem Tabubruch kommen: Die AfD steht für eine Koalition mit der Union bereit.