Waffenruhe in Nahost Hamas übergibt tote israelische Geiseln
Tel Aviv · Die Hamas hat vier Leichen an Israel übergeben, bei denen es sich um Verschleppte handeln soll. Darunter sollen zwei Kleinkinder sein. Gewissheit darüber wird es aber erst später geben.
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Hamas übergibt tote israelische Geiseln
Die Hamas hat im Gazastreifen die sterblichen Überreste von vier Menschen übergeben. Das Rote Kreuz übergab die Leichen, bei denen es sich nach Hamas-Angaben um tote Geiseln handeln soll, anschließend an die israelische Armee. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu teilte mit, die Übergabe habe im Gazastreifen stattgefunden.
Der Hamas und israelischen Medien zufolge sollen unter den Toten eine Mutter und zwei Kleinkinder sein. Alle drei haben auch die deutsche Staatsbürgerschaft. In einem forensischen Institut nahe Tel Aviv, wo sie am nach dem Mittag ankamen, soll ihre Identität festgestellt werden. Zuerst werden die Angehörigen über das Ergebnis informiert.
Israels Armee informierte die Familie der vierten Geisel, Oded Lifschitz, dass einer der Toten als ihr Angehöriger identifiziert wurde. Der pensionierte Journalist sei in Gefangenschaft von der Terrororganisation Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ) ermordet worden, teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit. Das Alter des Mannes wurde mit 83 Jahren angegeben, israelische Berichte sprachen stets von 84 Jahren. Lifschitz war auch als Aktivist für die Rechte von Palästinensern bekannt. Seine ebenfalls verschleppte Frau wurde rund zwei Wochen nach ihrer Entführung aus der Geiselhaft im Gazastreifen freigelassen.
Im Zuge einer Vereinbarung mit der Hamas wird Israel Berichten zufolge im Gegenzug für die Leichen alle Frauen und Minderjährigen freilassen, die seit Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 festgenommen wurden und die nicht am bewaffneten Kampf gegen Israel beteiligt gewesen sein sollen.
Übergabe der Leichen bei Hamas-Inszenierung
Die Leichen waren in einer Inszenierung der islamistischen Terrororganisation Hamas in Chan Junis im Süden des Küstengebiets an Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) übergeben worden. Die Hamas hatte am Übergabeort eine Bühne errichtet, zahlreiche jubelnde Schaulustige versammelten sich neben Dutzenden vermummten und maskierten Islamisten in Uniformen zu lauter Musik.
Auf der Bühne wurden vier schwarze Särge aufgebahrt. Im Hintergrund war der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Vampir abgebildet, mit den Bildern der getöteten Geiseln. „Der Kriegsverbrecher Netanjahu und seine Nazi-Armee haben sie mit Raketen zionistischer Kampfjets getötet“, stand daneben. Eine israelische Moderatorin sprach von einem „Theater des Terrors“.
Bevor die schwarzen Särge in IKRK-Fahrzeuge geladen wurden, stellten die Mitarbeiter des Roten Kreuzes weiße Sichtblenden auf. Sie überdeckten Hamas-Propaganda auf den Särgen mit weißen Tüchern. Das IKRK hatte zuvor mehr Menschenwürde bei der Übergabe von Geiseln gefordert.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, verurteilte die Inszenierung durch die Hamas scharf. „Das Zurschaustellen von Leichen, wie es heute Morgen geschehen ist, ist verabscheuungswürdig und verstößt gegen das Völkerrecht“, teilte Türk in Genf mit.
Bei der Übergabe an die israelische Armee im Beisein eines Militärrabbiners wurden die Särge in blau-weiße israelische Flaggen gehüllt. Am Rande des Gazastreifens warteten Dutzende Israelis im strömenden Regen auf den Transport mit den Särgen.
Unter den Toten sollen zwei Kleinkinder sein
Das Schicksal der in den Gazastreifen entführten Schiri, Ariel und Kfir Bibas ist noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Videoaufnahmen der verängstigen Mutter und ihrer beiden rothaarigen Söhne, die bei der Entführung nach dem Massaker der Hamas-Terroristen im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 entstanden, gingen um die Welt.
Die forensische Untersuchung könnte israelischen Berichten zufolge einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Dauer des Identifizierungsprozesses hänge auch vom Zustand der Leichen ab, meldeten mehrere Medien unter Berufung auf Gesundheitsminister Uriel Busso am Mittwoch. Busso betonte demnach, dass Israel auch die Todesursachen ermitteln wolle.
Die Hamas hatte noch während des Krieges im Herbst 2023 mitgeteilt, die drei seien bei israelischen Bombardements getötet worden. Aus israelischer Sicht gibt es bislang jedoch für ihren Tod keine abschließende Bestätigung. Es gebe aber große Sorge um das Schicksal der drei, hieß es von offizieller Seite.
Der Vater der Kinder, Jarden Bibas, wurde kürzlich freigelassen. „Unglücklicherweise ist meine Familie nicht zu mir zurückgekehrt“, teilte er nach seiner Rückkehr nach Israel mit. „Mein Licht ist immer noch dort (im Gazastreifen), und solange sie dort sind, ist hier alles düster.“
Der Jüngste war bei seiner Entführung noch ein Baby. Er habe zum Zeitpunkt seiner Entführung noch nicht laufen und „Mama“ sagen können, sagte der Cousin seiner Mutter kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. Sein älterer Bruder habe damals noch an Superhelden geglaubt, so Jimmy Miller.
Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog äußerte sich nach der Übergabe der Leichen zutiefst betrübt. „Qual. Schmerz. Es fehlen die Worte“, hieß es in einer Mitteilung Herzogs. „Unsere Herzen - die Herzen einer ganzen Nation - sind gebrochen.“ Er neige im Namen des Staates Israel das Haupt und bitte um Vergebung. „Vergebung dafür, dass wir euch an dem schrecklichen Tag nicht beschützt haben. Vergebung dafür, dass wir euch nicht sicher nach Hause gebracht haben.“
Fortsetzung der Waffenruhe bleibt ungewiss
Vier weitere Leichen sollen laut Hamas kommende Woche übergeben werden. Zudem sollen am Samstag sechs weitere Geiseln im Rahmen des Abkommens zwischen Israel und der Islamistenorganisation freikommen.
Seit Beginn der Waffenruhe im Gaza-Krieg am 19. Januar hatten Islamisten im Gazastreifen in mehreren Runden bislang 19 Geiseln freigelassen. Zusätzlich kamen fünf aus Israel entführte Thailänder unabhängig von der Vereinbarung frei. Das mehrstufige Abkommen zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während einer ersten, sechswöchigen Phase nach und nach insgesamt 33 Geiseln, darunter acht Tote, im Austausch gegen 1.904 palästinensische Häftlinge freikommen.
Die erste Phase des Deals soll in eineinhalb Wochen enden. Berichten zufolge haben beide Kriegsparteien bislang - entgegen der Vereinbarung - noch keine ernsthaften Verhandlungen über die zweite Phase des Deals geführt. Sie soll zu einem endgültigen Ende des Krieges sowie zur Freilassung der noch verbliebenen Geiseln führen. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf Außenminister Gideon Saar, dass die Gespräche noch „in dieser Woche“ beginnen sollen.
Auslöser des Krieges war der Überfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seitdem wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen fast als 48.300 Menschen getötet, darunter auch viele Frauen und Minderjährige.
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