Nach Inkrafttreten Holocaust-Gesetz: Polen will Krise mit Israel lösen

Warschau/Tel Aviv (dpa) - Mit ihrem Holocaust-Gesetz will die polnische Regierung nach Einschätzung des Historikers Jan Tomasz Gross die kritische Auseinandersetzung mit Polens Geschichte erschweren.

Foto: dpa

Die Strafvorschrift, die am Donnerstag trotz heftiger Proteste aus Israel in Kraft trat, soll die Debatte über polnische Mittäterschaft bei der Judenverfolgung im Keim ersticken, wie der emeritierte polnisch-amerikanische Geschichtsprofessor der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Es sei ein Versuch „kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen“, sagte der Forscher, der zuletzt an der US-Eliteuniversität Princeton unterrichtet hatte. Er warnte vor einem „Knebel-Effekt“ für Wissenschaft und Presse und im Bildungsbereich.

Das Gesetz sieht unter anderem Geld- und Haftstrafen für diejenigen vor, die der polnischen Nation die Verantwortung oder Mitverantwortung für vom nationalsozialistischen Deutschland begangene Verbrechen zuschreiben. Polen war von 1939 bis 1945 von NS-Deutschland besetzt.

Gross warnte, polnische Journalisten würden künftig zweimal nachdenken, bevor sie sich mit diesem Thema befassen. Er befürchte zudem „riesige Auswirkungen darauf, was Lehrer in der Schule unterrichten werden - sie werden Angst haben“, sagte der polnisch-amerikanische Wissenschaftler. Gross gilt als Auslöser für eine frühere Version des Holocaust-Gesetzes; diese Vorschrift war aber letztlich vor dem Verfassungsgericht gescheitert.

Polens Präsident Andrzej Duda hatte die Vorschrift gegen Vorwürfe verteidigt, die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wolle die Verantwortung von Polen bei Verbrechen an Juden leugnen. „Wir wollen Geschichte nicht neu schreiben, sondern nur, dass die historische Wahrheit auf jedem möglichen Schritt geschützt wird.“

Laut Regierungsangaben soll das Gesetz den Ruf Polens schützen und unter anderem die Verwendung der historisch falschen Bezeichnung „polnische Todeslager“ verhindern. Ein Argument, das Gross nicht gelten lässt. „Dann hätten sie den Begriff mit in den Gesetzestext aufnehmen müssen - aber man wird ihn dort nicht finden.“

Zur Entschärfung der Krise, die das Gesetz mit Israel ausgelöst hatte, schickte Polen eine Regierungsdelegation nach Jerusalem. Ob es Änderungen an dem Gesetz gibt, ist aber fraglich. Nach Angaben der Kanzlei des Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki werde die entsandte Arbeitgruppe nicht über Inhalte des Gesetzes verhandeln, sondern den Dialog aufnehmen.

„Wir sind offen und bereit, alle Fragen zu beantworten und alles zu klären, was in Bezug auf das Gesetz der Klärung bedarf“, sagte der stellvertretende Außenminister Bartosz Cichocki zu Beginn des Treffens in Israel. Die Arbeitsgruppe werde sich mit den Themen Geschichte, Kultur und Bildung befassen.

Regierungssprecherin Joanna Kopcinska sagte in Warschau: „Wir müssen heute die Bedingungen dafür schaffen, dass die nachfolgenden Generationen unsere gemeinsame Geschichte kennen, die zum Teil sehr schwierig, aber auch ungemein wichtig ist und die die Grundlage unserer Identität ist.“

Juval Rotem, Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, äußerte seine Hoffnungen in Bezug auf das bilaterale Gespräch: „Wir müssen sicherstellen, dass die historischen Wahrheiten bewahrt werden, dass es keine Einschränkungen für die Freiheit der Forschung und der Rede gibt und dass die große Gefahr der Kriminalisierung in dieser Hinsicht angegangen und aufgelöst wird“, sagte er. Zudem werde man die eigenen Sorgen wegen der wahrgenommenen Zunahme antisemitischer Vorkommnisse ansprechen.

Zum umstrittenen Holocaust-Gesetz soll sich auf Anordnung Dudas noch das Warschauer Verfassungsgericht äußern. Es wird in voraussichtlich rund zwei Monaten darüber urteilen, ob das Gesetz gegen die Meinungsfreiheit verstößt. Nach einer PiS-Reform 2015 gilt das polnische Verfassungsgericht allerdings als befangen.