Immer mehr Menschen fliehen vor dem Terror der IS
Damaskus/Ankara (dpa) - Wegen des Vormarschs der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Norden Syriens erwarten die Vereinten Nationen einen gewaltigen Flüchtlingsstrom in die Türkei.
Seit Freitag hätten fast 100 000 vor allem kurdische Flüchtlinge Zuflucht im Nachbarland gesucht, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Ankara mit. Die Menschen waren geflohen, nachdem IS-Extremisten Ende vergangener Woche Angriffe auf kurdische Dörfer im syrisch-türkischen Grenzgebiet gestartet hatten.
„Die Zahl liegt nahe an 100 000“, sagte UNHCR-Sprecherin Selin Unal in Ankara am Sonntag auf Anfrage. „Und weiterhin kommen Menschen.“ Die Türkei hatte am Freitag ihre Grenze geöffnet, nachdem sich Tausende aus Angst vor IS-Massakern davor versammelt hatten. Die Terrormiliz hat in der Region rund um die Stadt Ain al-Arab (Kurdisch: Kobane) mehr als 60 Dörfer erobert.
Nach UNHCR-Angaben seien wegen des Bürgerkriegs in Syrien rund 200 000 Menschen aus anderen Teilen des Landes nach Ain al-Arab geflüchtet, weil die Stadt als relativ sicher galt. Nun drohe eine Flucht von Hunderttausenden Menschen weiter über die türkische Grenze. Im Grenzgebiet selbst kämpfen kurdische Einheiten gegen den Vormarsch der IS-Extremisten.
In der Türkei halten sich nach Regierungsangaben bereits rund 1,3 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf. Weitere 1,8 Millionen vor allem irakische Flüchtlinge suchen nach UN-Angaben in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak Zuflucht.
Die IS-Terrormiliz hatte im Juni begonnen, von Mossul ausgehend Teile des Iraks zu erobern. In Syrien kontrollieren die Dschihadisten rund zwei Drittel des Landes. Ihre Eroberungen hat die IS-Miliz in einem selbst ernannten „Kalifat“ zusammengefasst.
Die USA weiteten am Wochenende ihre Luftangriffe gegen die irakische IS-Hochburg Mossul aus. Anwohner berichteten der dpa von US-Luftangriffen auf Stellungen der Terrormiliz im Stadtzentrum. Am Sonntag sei zudem ein IS-Hauptquartier westlich von Mossul angegriffen worden, meldete die unabhängige irakische Nachrichtenseite Al-Sumaria News. Eine Bestätigung vom US-Zentralkommando für die neuen Angriff lag zunächst nicht vor. Die 400 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Stadt Mossul ist neben dem syrischen Al-Rakka eine der Hochburgen der Terrormiliz.
Bei ihrer Eroberung hatten die Extremisten Mitte Juni Dutzende Geiseln im türkischen Generalkonsulat in Mossul verschleppt. Die 46 türkischen und drei irakischen Geiseln seien nun nach über drei Monaten befreit worden, teilte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Samstag mit. Der Geheimdienst MIT habe die Geiseln während einer nächtlichen „Rettungsoperation“ befreit. Sie trafen am Samstag in ihrer Heimat ein.
Die Zeitung „Hürriyet Daily News“ zitierte eine Geheimdienstquelle, wonach kein Lösegeld geflossen und auch kein Gefangenenaustausch vereinbart worden sei. Wie die Türkei die Extremisten zur Übergabe der Geiseln brachte, blieb unklar.
In London bat die Ehefrau des von IS-Extremisten entführten Briten Alan Henning die Geiselnehmer eindringlich um die Freilassung ihres Mannes. Er sei in Syrien gewesen, um bedürftigen Menschen zu helfen, hieß es in einer vom britischen Außenministerium veröffentlichten Bitte der Ehefrau. „Ich bete, dass die Menschen, die Alan festhalten, auf meine Botschaften antworten und mit mir in Kontakt treten, bevor es zu spät ist.“
Die Terrormiliz hatte in ihrem letzten Video von der Ermordung der britischen Geisel David Haines den 47 Jahre alten Henning als potenzielles nächstes Opfer vorgestellt. Henning war im Dezember 2013 gekidnappt worden. Für die Freilassung des 47-Jährigen hatten sich unlängst auch zwei Imame in Großbritannien eingesetzt.
Vor der UN-Generalversammlung werden die USA in der kommenden Woche weiter für ein globales Bündnis im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) werben. „Das hier ist nicht Amerika gegen den Islamischen Staat“, sagte US-Präsident Barack Obama am Samstag in einer Rundfunkansprache in Washington. „Das ist die Welt gegen den Islamischen Staat.“ Als erster Staat nach den USA hatte Frankreich am Freitag begonnen, Stellungen des IS im Irak zu bombardieren.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte am Freitag nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York alle Staaten zum gemeinsamen Vorgehen gegen die IS-Miliz aufgefordert. „Staaten wie Russland, China und selbst der Iran haben auf das Schärfste verurteilt, was wir dort im Mittleren Osten an Rückkehr der Barbarei erkennen müssen“, sagte Steinmeier. Das sei ein gutes Zeichen, dass ein breites Bündnis gegen die Terroristen gelingen könne.