Eskalation der Gewalt Jerusalem-Streit: Ein Toter und mindestens 760 Verletzte
Jerusalem (dpa) - Aufruhr im Heiligen Land: Nach der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA ist bei Unruhen in Jerusalem und den Palästinensergebieten ein Mann getötet worden. Mindestens 760 Menschen wurden verletzt.
Rund 261 davon erlitten Schusswunden, die Mehrheit durch Gummimantelgeschosse, wie der palästinensische Rettungsdienst Roter Halbmond am Freitag mitteilte. Bei dem Todesopfer handelt es sich um einen Palästinenser.
Am Abend schlug eine Rakete aus dem Gazastreifen in der Stadt Sderot im Süden Israels ein. Weitere Informationen gebe es nicht, teilte eine israelische Armeesprecherin zunächst mit. Dr Zeitung „Haaretz“ zufolge wurden Autos beschädigt. Verletzte habe es keine gegeben.
Israel hatte zuvor einen Stützpunkt und ein Waffenlager der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen angegriffen. Dabei wurden nach Angaben aus palästinensischen Sicherheitskreisen zehn Menschen verletzt. Vorher waren zwei Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert worden, eine hatte Israel nach Armeeangaben abgefangen, bei der anderen wurde zunächst kein Treffer gemeldet.
Bereits zuvor hatte eine israelische Armeesprecherin gesagt, im Westjordanland seien Warnschüsse in die Luft abgegeben worden, im Gazastreifen sei auf Anstifter der Unruhen geschossen worden. Diese seien auch getroffen worden. Die meisten Palästinenser wurden durch Tränengas verletzt.
Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats mussten die USA massive Kritik aller 14 anderen Mitglieder des Gremiums einstecken. Die Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, stelle einen „gefährlichen Präzedenzfall“ dar, sagte Ägyptens UN-Botschafter Amr Abdellatif Aboulatta in New York. Die Botschafter von Großbritannien, Italien, Schweden, Italien und dem derzeit nicht im Sicherheitsrat vertretenen Deutschland teilten nach der Sitzung in einer gemeinsamen Erklärung mit, die Entscheidung sei nicht in Übereinstimmung mit UN-Resolutionen und nicht hilfreich.
„Heute, am 30. Jahrestag der ersten Intifada (Palästinenseraufstand), erhebt sich unser Volk in Ablehnung gegen die Erklärung von Trump“, sagte Achmad Bahar, ein führender Hamas-Vertreter, während der Gebete am Freitag in Gaza. „Jerusalem ist die Hauptstadt Palästinas und auch die Hauptstadt der Araber und Muslime.“ Auch in anderen muslimischen Ländern gingen die Menschen aus Protest gegen die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump auf die Straße, etwa in Ägypten, Jordanien, im Libanon und in Tunesien.
Teilnehmer von Kundgebungen in der Türkei schwenkten palästinensische Flaggen und skandierten Parolen wie „Mörder USA“. Im Iran verbrannten Demonstranten US-Flaggen. Der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi bestellte den US-Botschafter ein.
In Europa organisierte die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs nach eigenen Angaben in 14 EU-Hauptstädten Aktionen vor US-Botschaften und Parlamenten und machte den Status Jerusalems zum Thema der Freitagspredigt in ihren Moscheegemeinden.
Die Hamas hatte für Freitag zum Beginn eines neuen Palästinenseraufstands aufgerufen. In Jerusalem, dem Westjordanland und dem Gazastreifen gingen nach den Freitagsgebeten Tausende Palästinenser auf die Straße. Vor allem Jugendliche verbrannten amerikanische Flaggen und setzten Reifen in Brand, warfen mit Steinen und Flaschen auf israelische Sicherheitskräfte. Diese setzten auch Tränengas und Gummimantelgeschosse ein.
Die israelische Polizei war in Jerusalem mit zusätzlichen Hundertschaften präsent. Die israelische Armee hatte bereits zuvor entschieden, mehrere zusätzliche Bataillone ins Westjordanland zu verlegen.
Israel eroberte 1967 im Sechs-Tage-Krieg unter anderem Ost-Jerusalem von Jordanien und annektierte den Stadtteil später. Die internationale Gemeinschaft erkennt diesen Schritt nicht an. Die Palästinenser wollen Ost-Jerusalem als Hauptstadt für einen künftigen unabhängigen Staat Palästina. Israel beansprucht die ganze Stadt für sich. Die Altstadt mit der Klagemauer und dem Tempelberg liegt in Ost-Jerusalem.
Nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen griffen die israelischen Streitkräfte bereits am Donnerstagabend Stützpunkte der dort herrschenden Hamas an. Eine Rakete sei im Süden Israels explodiert, teilte das Militär mit. Daraufhin hätten ein Panzer und ein Kampfjet zwei Posten im Gazastreifen beschossen.
Die Palästinenser gingen diplomatisch auf Distanz zu den USA. Chefunterhändler Saeb Erekat sagte dem Fernsehsender Al-Dschasira, die Palästinenser würden erst wieder mit den USA verhandeln, wenn US-Präsident Donald Trump seine Entscheidung zurücknehmen werde.
Nach der Entscheidung Trumps wird Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nach Angaben von Fatah-Vertretern US-Vizepräsident Mike Pence nicht wie geplant in Bethlehem treffen. „Dieses Treffen wird nicht stattfinden“, sagte der ehemalige Sicherheitschef Dschibril Radschub in einem Fernsehinterview. „Ich sage, im Namen der Fatah, dass wir keinerlei US-Vertreter in den Palästinensergebieten treffen werden.“
Pence habe Abbas am 19. Dezember in Bethlehem treffen wollen, sagte Radschub. Die BBC berichtete, die USA hätten die Palästinenser vor einer Absage des Treffens gewarnt. Abbas' Sprecher sagte bei Al-Dschasira zu der Warnung: „Jerusalem ist wichtiger als jedes Treffen mit Pence oder irgendeinem anderen amerikanischen Vertreter.“ Der Großimam der ehrwürdigen Al-Azhar in Kairo sagte aus Protest ebenfalls ein Treffen mit Pence ab.
Israel möchte nach Medienberichten nun den Bau von Siedlerwohnungen vorantreiben. 14 000 neue Wohnungen sollen entstehen, davon 6000 in Ost-Jerusalem, berichtete die Zeitung „Maariv“. Das wäre der erste große Entwicklungsplan in Ost-Jerusalem in den vergangenen 20 Jahren, schrieb die „Times of Israel“.
Der israelische Botschafter in Berlin, Jeremy Issacharoff, sagte der „Bild“-Zeitung: „Einen Frieden ohne Jerusalem als Israels Hauptstadt wird es nicht geben.“ Er fügte hinzu: „Israel bleibt nun dazu verpflichtet, den Frieden mit all seinen Nachbarn, auch mit den Palästinensern, durch verhandelte Abkommen voranzubringen.“ Am Status quo der religiösen Stätten werde sich nichts ändern.
Trump hatte am Mittwoch Jerusalem als Hauptstadt des Staates Israel anerkannt und das Außenministerium angewiesen, mit dem Prozess zur Verlegung der Botschaft zu beginnen. Nach Einschätzung von US-Außenminister Rex Tillerson wird die US-Botschaft in Israel wohl nicht vor 2019 von Tel Aviv nach Jerusalem umziehen. Es seien Genehmigungen nötig und das Gebäude der diplomatischen Vertretung müsse erst gebaut werden.