Überblick Russland setzt Angriffe trotz neuer Friedensverhandlungen fort

Kiew · Trotz neuer Verhandlungen hat Russland die Fortsetzung seiner Angriffe in der Ukraine angekündigt. Die ukrainische Armee hat unterdessen offenbar russische Truppen aus einigen Vororten vertrieben. Der Kreml tritt Spekulationen zum Einsatz von Atomwaffen entgegen - und droht mit einem Stopp von Gaslieferungen. Die Entwicklungen im Überblick.

29.03., 12.54 Uhr: Russland setzt Angriffe trotz neuer Friedensverhandlungen fort

Ungeachtet neuer Friedensverhandlungen hat Russland die Fortsetzung seiner Angriffe in der Ukraine angekündigt. „Die russischen Streitkräfte setzen die militärische Spezial-Operation fort“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax.

Durch russische Luftangriffe seien seit Montag 68 ukrainische Militärobjekte zerstört worden, sagte Konaschenkow weiter. Darunter seien unter anderem Flugabwehrraketen-Systeme, zwei Munitionsdepots und drei Treibstofflager gewesen. Auch drei Drohnen seien zerstört worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte auch einen Raketenangriff auf ein Treibstofflager im Gebiet Riwne in der Nordwestukraine am Montagabend. Der Treibstoff sei für ukrainische Militärtechnik in Vororten Kiews bestimmt gewesen, hieß es. Ukrainische Behörden hatten am Montagabend über diesen Raketenangriff berichtet.

Rund viereinhalb Wochen nach der russischen Invasion in die Ukraine trafen sich am Dienstag Delegationen aus der Ukraine und Russland zu einer neuen Verhandlungsrunde in Istanbul.

Ukrainische Armee meldet Verdrängung von russischen Truppen bei Großstadt Krywyj Rih

Die ukrainische Armee hat eigenen Angaben zufolge russische Truppen bei der südukrainischen Großstadt Krywyj Rih zurückgedrängt. „Die Besatzer befinden sich nicht näher als 40 Kilometer von der Stadt entfernt“, sagte der Chef der Militärverwaltung der Stadt, Olexander Wilkul, in einer am Dienstag bei Facebook veröffentlichten Videobotschaft. Teils hätten sich russische Einheiten über die Grenze des Gebiets Dnipropetrowsk ins benachbarte Cherson zurückgezogen. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Krywyj Rih ist die Heimatstadt von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Vor dem Krieg lebten dort etwa 600 000 Menschen. Zwischenzeitlich seien die Russen bis etwa zehn Kilometer an die Industriestadt heran gekommen, hieß es von ukrainischer Seite.

Vertreter von Ukraine und Russland kommen zu Verhandlungen in Istanbul zusammen

Vertreter der Ukraine und Russlands sind am Dienstag zu direkten Gesprächen über eine Waffenruhe in Istanbul zusammengekommen. Die neue Verhandlungsrunde begann gegen 09.30 (MESZ), wie die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete.

Die Delegationen waren zuvor vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im ehemaligen Sultanspalast Dolmabahce empfangen worden. "Beide Seiten haben berechtigte Sorgen", sagte Erdogan zur Begrüßung der Unterhändler. Er rief sie dazu auf, "dieser Tragödie ein Ende zu setzen".

Die Gespräche in Istanbul sind die ersten direkten Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine seit fast drei Wochen. Verhandlungen auf Ministerebene am 10. März im türkischen Antalya hatten keine konkreten Fortschritte im Bemühen um eine Waffenruhe in der Ukraine gebracht. Seitdem wurden die Gespräche per Videokonferenz fortgesetzt. Beide Konfliktparteien bezeichneten sie zuletzt als "schwierig".

Die Gespräche in Istanbul sollen bis Mittwoch dauern. Zu den zentralen Themen gehören nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj "Sicherheitsgarantien und die Neutralität" sowie der Status der Ukraine als "atomwaffenfreier Staat". Eine Neutralität der Ukraine ist eine der russischen Hauptforderungen. Selenskyj hatte am Sonntag gesagt, seine Regierung werde die Frage "gründlich" prüfen.

Der ukrainische Außenministers Dmytro Kuleba gab als Minimalziel für die Verhandlungen in Istanbul eine Verbesserung der humanitären Lage in von russischen Truppen belagerten Städten wie dem schwer zerstörten Mariupol aus. Wunschziel sei ein stabiler Waffenstillstand.

29.03., 7 Uhr: Ukraine meldet Erfolge bei Kiew und Charkiw - Russland droht mit Gas-Lieferstopp

Vor dem Beginn der neuen Verhandlungsrunde mit Russland über den Ukraine-Krieg in Istanbul am Dienstag hat der ukrainische Außenminister sich skeptisch zu den Erfolgsaussichten geäußert. "Wenn wir sehen, dass sich die Stimmung geändert hat und sie zu einem ernsthaften, substanziellen Gespräch und ausgewogenen Vereinbarungen bereit sind, dann werden die Dinge vorankommen", sagte Dmytro Kuleba. "Wenn es sich um eine Wiederholung ihrer Propaganda handelt, werden die Gespräche erneut scheitern."

Minimalziel der ukrainischen Seite sei eine Verbesserung der humanitären Lage in von russischen Truppen belagerten Städten wie dem schwer zerstörten Mariupol. Wunschziel sei ein stabiler Waffenstillstand. Kubela wies erneut auf die roten Linien der ukrainischen Regierung hin: "Wir tauschen nicht Menschen, Land und Souveränität. Unsere Position ist konkret."

Die russischen Unterhändler waren am Montag in der türkischen Metropole eingetroffen, wo bereits am 10. März eine frühere Verhandlungsrunde auf Außenministerebene stattgefunden hatte - allerdings ergebnislos. Die Gespräche wurden anschließend per Videokonferenz fortgesetzt. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte jedoch am Montag erst gesagt, dass es bislang keine "signifikanten Fortschritte" gegeben habe.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sich zuletzt gesprächsbereit über die von Russland geforderte Neutralität seines Landes gezeigt. Er hatte allerdings betont, über jegliche Einigung in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Außerdem hatte er ein persönliches Gespräch mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin gefordert, was der russische Außenminister Sergej Lawrow zuletzt als "kontraproduktiv" zurückgewiesen hatte.

Ukraine meldet Erfolge

Die ukrainischen Truppen haben die russischen Streitkräfte aus einigen Vororten Kiews und Charkiws vertrieben. Die Stadt Irpin im Nordwesten der Hauptstadt sei "befreit worden", sagte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrsky am Montagabend im Fernsehen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache, es sei "noch zu früh, um von Sicherheit in diesem Teil unserer Region zu sprechen". "Die Kämpfe gehen weiter." Die Russen kontrollierten nach wie vor die Gebiete im Norden Kiews.

Der Hauptkontrollposten an der Straße von Kiew nach Irpin war am Montag wieder offen. Er war vor zwei Wochen nach dem Tod eines US-Journalisten für Medien gesperrt worden. Nach Angaben von AFP-Journalisten vor Ort dauerten die Kämpfe nahe Irpin am Montag aber an. Es seien rund 20 laute Explosionen von Granaten in einem Wald entlang der sechs Kilometer langen Straße zu hören gewesen.

Der Vorort im Nordwesten von Kiew war in den vergangenen Wochen Schauplatz heftiger Kämpfe gewesen. Als der Vormarsch der russischen Truppen auf Kiew ins Stocken geriet, wurde Irpin massiv bombardiert.

Journalisten der AFP besuchten am Montag auch den westlichen Vorort Stojanka, wo einige Bewohner nach heftigen Kämpfen wieder in ihre Häuser zurückkehrten. Soldaten warnten jedoch vor russischen Scharfschützen.

Wie Selenskyj betonte, bleibt die militärische Lage in den Regionen Tschernihiw, Sumy, Charkiw, im Donbass und im Süden der Ukraine "überall angespannt, sehr schwierig". Er fügte hinzu, dass die "russischen Truppen am Montag keinen "humanitären Korridor zugelassen" hätten.

Kremlsprecher: Keine Bezahlung - kein Gas

Nach der von der EU weitgehend abgelehnten Bezahlung von Gaslieferungen in Rubel hält Russland die Drohung eines Lieferstopps aufrecht. „Keine Bezahlung - kein Gas“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem amerikanischen TV-Sender PBS. Moskau wolle die endgültige Antwort der EU abwarten und dann die nächsten Schritte festlegen. „Wir beabsichtigen aber auf keinen Fall, uns als Wohltäter zu zeigen und Westeuropa kostenloses Gas zu liefern“, betonte Peskow. Kremlchef Wladimir Putin hatte angeordnet, dass Erdgas an „unfreundliche“ Staaten wie Deutschland nur noch gegen Zahlung in Rubel zu liefern sei. Dies wurde bereits von einigen Ländern mit dem Hinweis auf Vertragsbruch zurückgewiesen.

Kreml: Keine Pläne für Atomwaffen-Einsatz im Ukraine-Krieg

Kremlsprecher Peskow trat zugleich Spekulationen entgegen, Moskau könne im Ukraine-Krieg Atomwaffen einsetzen. „Niemand in Russland denkt an den Einsatz oder auch nur an die Idee eines Einsatzes von Atomwaffen“, sagte er im PBS-Interview. Russland greife zum Atomwaffenarsenal nur bei einer „Bedrohung der Existenz“. Die staatliche Existenz Russlands und die Ereignisse in der Ukraine hätten „nichts miteinander zu tun“. Die Sorge im Westen über mögliche Atomwaffenpläne Moskaus war gestiegen, als Putin zum Auftakt des Angriffskrieges in der Ukraine eine erhöhte Alarmbereitschaft der russischen Nuklearstreitkräfte anordnete.

Biden: Nehme Äußerung zu Putin nicht zurück

US-Präsident Joe Biden steht zu seiner umstrittenen Aussage über Putin im Ukraine-Krieg, will diese aber nicht als Aufruf zum Machtwechsel in Moskau verstanden wissen. „Ich nehme nichts zurück“, sagte Biden im Weißen Haus. „Solche Menschen sollten keine Länder regieren, aber sie tun es. Die Tatsache, dass sie es tun, bedeutet aber nicht, dass ich meine Empörung darüber nicht zum Ausdruck bringen kann.“ Damit sei kein Aufruf zum Machtwechsel im Kreml verbunden. Biden hatte Putin am Samstagabend bei einer Rede in Warschau einen „Diktator“ genannt und mit den Worten geschlossen: „Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“

Halbe Million Ukrainer seit Kriegsbeginn zurückgekehrt

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges sind nach Angaben der ukrainischen Grenzpolizei rund 510 000 Menschen aus dem Ausland zurückgekehrt. Allein in der vergangenen Woche seien es 110 000 Menschen gewesen, sagte ein Sprecher der Behörde der Tageszeitung „Welt“. Acht von zehn Einreisenden seien Männer. Die meisten kämen aus Polen. Vor Beginn des Krieges lebten rund 44 Millionen Menschen in der Ukraine. Rund 3,9 Millionen Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR ins Ausland geflüchtet.

Russlands "Schattenarmee" laut Großbritannien in der Ukraine

Das britische Verteidigungsministerium teilte am Montagabend mit, dass russische Söldner der Gruppe Wagner im Osten der Ukraine eingesetzt würden. Schätzungen zufolge könnten demnach mehr als 1000 Söldner für Kampfeinsätze entsandt werden. Russlands "Schattenarmee" wird mit Krisenregionen wie Syrien, Libyen, der Zentralafrikanischen Republik und zuletzt auch Mali in Zusammenhang gebracht. Moskau bestreitet jegliche Verbindung zu ihr. Den Söldnern werden schwere Verstöße gegen Menschenrechte vorgeworfen, darunter Folter und gezielte Tötungen.im Osten der Ukraine eingesetzt würden. Schätzungen zufolge könnten demnach mehr als 1000 Söldner für Kampfeinsätze entsandt werden. Russlands "Schattenarmee" wird mit Krisenregionen wie Syrien, Libyen, der Zentralafrikanischen Republik und zuletzt auch Mali in Zusammenhang gebracht. Moskau bestreitet jegliche Verbindung zu ihr. Den Söldnern werden schwere Verstöße gegen Menschenrechte vorgeworfen, darunter Folter und gezielte Tötungen.

IAEA: Ukraine meldet keine Schäden an Nuklearmaterial in Charkiw

Bei kürzlichem Beschuss hat eine nukleare Forschungseinrichtung in der ostukrainischen Stadt Charkiw zwar Schäden erlitten, ihre geringe Menge an Nuklearmaterial aber ist intakt geblieben. Das teilte der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am Montagabend unter Berufung auf Informationen der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde mit.

(dpa)