Lähmt Parteienflut das Europaparlament?

2014 entfällt bei der Europawahl in Deutschland erstmals die Fünf-Prozent-Hürde.

Düsseldorf. In einem Jahr wählt Europa sein neues Parlament. In Deutschland fällt dabei erstmals die Fünf-Prozent-Hürde weg. Das Bundesverfassungsgericht hatte sie 2011 für die Wahl des Europäischen Parlaments (EP) gekippt. Was hat das für Folgen?

Bei der Wahl, die in Deutschland wohl am 25. Mai stattfinden wird, zählt erstmals jede Stimme. Das Bundesverfassungsgericht hatte kritisiert, dass wegen der Fünf-Prozent-Hürde 2009 2,9 Millionen Stimmen unter den Tisch fielen. Ohne diese Hürde wären 169 anstatt 162 Parteien ins Parlament eingezogen. Die Ökologisch-demokratische Partei (ÖDP) etwa wäre mit 134 893 (0,5 Prozent der Stimmen) ins EP gekommen. Die Modalitäten zur Europawahl können die EU-Mitgliedsstaaten selbst bestimmen.

„Eine Reihe von Kleinparteien wie die ÖDP kommen bei uns nicht in den Bundestag oder in die Landtage — und verschwinden damit auch aus der öffentlichen Wahrnehmung“, sagt Parteienrechtexperte Martin Morlok vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Ein Platz im Parlament sei eine große Chance für die kleinen Parteien. Morlok befürworte, dass die politische Landschaft aufgelockert wird. Es sei schon lange nicht mehr der Fall, dass es in Deutschland nur drei Parteien gäbe. „Wähler haben gelernt, dass man auch andere Parteien wählen kann.“

Unter der Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde werden große Parteien leiden, weil sie wohl Plätze abgeben werden müssen. „Deshalb waren sie so gegen die Abschaffung der Sperrklausel“, vermutet Morlok. Im Europäischen Parlament gibt es eine feste Zahl an Sitzen für jedes Land.

Kritiker fürchten durch die steigende Anzahl von Parteien eine Zersplitterung — gar eine Unregierbarkeit wie in der Weimarer Republik. Doch die Gefahr sehen weder das Bundesverfassungsgericht noch etliche Staatsrechtler. Da es keine europäischen Parteien gibt, vereinigen sich im Parlament in Brüssel eine Vielzahl von Parteien in sieben Fraktionen. „Käme die ÖDP ins Parlament würde sie sich vermutlich der Fraktion der grünen Parteien anschließen“, schätzt Morlok. Es sei unwahrscheinlich, dass einzelne Abgeordnete eine eigene Fraktion bilden.

Ein großer Unterschied zum Bundestag besteht außerdem darin, dass das EP die Regierung, also die Kommission, nicht wählt. Eine stabile Mehrheit ist deshalb nicht erforderlich. „Man kann ja mal ausprobieren, ob die Welt zusammenbricht“, scherzt Morlok. „Auch bei Kommunalwahlen in NRW gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde — und die Städte sind trotzdem regierbar.“