Laut UN 7500 Tote: Syrien am Pranger
Genf/Damaskus/New York (dpa) - Mehr als 7500 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen seit Beginn der Proteste gegen die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad getötet worden. Die weitaus meisten von den Truppen des Regimes.
„Nach zuverlässigen Berichten gibt es bis zu 100 Tote am Tag, viele von ihnen Frauen und Kinder“, sagte Untergeneralsekretär Lynn Pascoe am Dienstag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Im Genfer UN-Menschenrechtsrat steht das Assad-Regime am Pranger. Eine Entscheidung über eine Resolution, mit der das blutige Vorgehen gegen Zivilisten „scharf verurteilt“ werden soll, wurde aber wegen vieler Redebeiträge auf voraussichtlich Donnerstag vertagt.
An einer Verurteilung durch die große Mehrheit der 47 Mitgliedsländer des Menschenrechtsrates bestehe kein Zweifel, hieß es in diplomatischen Kreisen. Zuvor hatten Vertreter zahlreicher Länder Unterstützung für den von Deutschland, Katar, Kuwait, Saudi Arabien und der Türkei eingebrachten Resolutionsentwurf signalisiert. Darin werden dem Assad-Regime willkürliche Hinrichtungen, Tötungen von Demonstranten, Folterungen und sexuelle Gewalt durch Regierungstruppen vorgeworfen.
Zu den entschiedensten Gegnern einer Verurteilung gehörte einmal mehr Russland. Auch der Iran und Kuba stützen die Position Syriens. Dessen UN-Botschafter bezeichnete die Debatte im Menschenrechtsrat als „Machenschaft“ der Gegner Syriens und warf den UN vor, die Gewalt in dem arabischen Land zu schüren.
Wie viele Menschen genau der seit fast einem Jahr anhaltenden Gewalt in Syrien zum Opfer gefallen sind, wird laut UN wohl niemals mehr festgestellt werden können. „Wir können keine genauen Opferzahlen nennen“, sagte Pascoe. „Insgesamt liegt die Opferzahl mittlerweile sicher bei mehr als 7500 Toten.“
Nach Angaben von Beobachtern gibt es weitreichende, systematische und erhebliche Verletzungen der Menschenrechte durch das Regime, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie es heißt. „Und alles geschieht mit Wissen der obersten Führung“, sagte Pascoe.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sagte in Genf, die Zahl der in Syrien getöteten Kinder sei wahrscheinlich auf mehr als 500 angestiegen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sprach in Brüssel von „mehr als 8300 Menschen, die unter schrecklichen Umständen in Syrien getötet wurden“.
Die weitaus meisten Staatenvertreter im Menschenrechtsrat verurteilten die Angriffe auf Zivilisten in Protesthochburgen wie Homs und Hama. Ebenso wie die EU rief auch Deutschland dazu auf, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien durch die internationale Strafjustiz verfolgen zu lassen.
Trotz verschärfter Sanktionen und neuer Warnungen geht das Blutvergießen in Syrien weiter. Regierungstruppen feuerten nach Angaben von Aktivisten mit Artilleriegeschützen auf Wohnviertel in den Provinzen Homs und Hama. Landesweit sollen die Soldaten binnen weniger Stunden mindestens 70 Menschen getötet haben.
Der tunesische Präsident Mouncef Marzouki bot Assad politisches Asyl an. Tunesien sei bereit, ihn und seine Familie aufzunehmen, um dadurch einen Beitrag zur Beendigung der Krise in Syrien zu leisten, sagte er in einem Interview der tunesischen Zeitung „La Presse“.
In den Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar und Kuwait wird inzwischen laut über eine Bewaffnung der Opposition und der mit ihr verbündeten Deserteure nachgedacht. Ein kuwaitischer Kommentator sagte dem Nachrichtensender Al-Arabija, angesichts der „Barbarei“ des Regimes bleibe kaum noch eine andere Option. Die EU hatte ihre Sanktionen gegen das Assad-Regime am Montag erneut ausgeweitet.
Der in der umkämpften syrischen Stadt Homs verwundete britische Pressefotograf Paul Conroy wurde unterdessen in Sicherheit gebracht. Sein Vater bestätigte Informationen, wonach sein Sohn in einem Krankenhaus der libanesischen Hauptstadt Beirut behandelt werde. Syrische Aktibisten hatten ihn über die Grenze gebracht.
Die mit Conroy in Homs verwundete französische Journalistin Edith Bouvier befindet sich dagegen nach Angaben ihrer Zeitung „Le Figaro“ noch immer in Syrien - entgegen zunächst anderslautenden Äußerungen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Dieser hatte zunächst erklärt, dass auch Bouvier in den Libanon gebracht worden sei, sich aber später dann korrigiert. Nach Angaben syrischer Aktivisten waren Bouvier und ihre Helfer kurz vor Erreichen der libanesischen Grenze von syrischen Truppen angegriffen worden. Sie würden sich noch immer im Grenzgebiet aufhalten, hieß es am Abend.