Krise in Venezuela Maduro macht Ernst: Oberste Kritikerin abgesetzt

Caracas (dpa) - Im sozialistischen Venezuela verschärft die Regierung von Präsident Nicolás Maduro nach der faktischen Entmachtung des Parlaments die Gangart gegen Kritiker.

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Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz, die Maduro den Weg in die Diktatur vorwirft und ihn mit mehreren Verfahren zu bremsen versuchte, wurde von ihren Aufgaben entbunden. Dies entschied die von Maduro initiierte neue Verfassungsgebende Versammlung auf Antrag des Obersten Gerichtshofs in ihrer ersten regulären Sitzung in der Hauptstadt Caracas.

Die Versammlung ist mit allen Vollmachten ausgestattet - Maduro preist sie als Vertretung des Volkes. Es befinden sich aber fast nur Anhänger der Sozialisten in dem Gremium, auch Maduros Frau und sein Sohn. Vor der Entscheidung hatten Soldaten den Sitz von Ortegas Strafverfolgungsbehörde, dem Ministerio Publico, abgeriegelt und ihr den Zugang verwehrt. „Ich lehne diese Belagerung ab“, schrieb Ortega Diáz bei Twitter. „Ich klage diese Willkür vor der nationalen und internationalen Gemeinschaft an.“ Ihr droht ein Strafverfahren.

Nach den jüngsten Entwicklungen wird die Mitgliedschaft Venezuelas im südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur derweil dauerhaft auf Eis gelegt. Das beschlossen die Außenminister von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay bei einer Sondersitzung in Brasilia. Die Mitgliedschaft war schon 2016 vorübergehend ausgesetzt worden, weil Maduro gegen demokratische Grundprinzipien verstoße. Damit wäre Venezuela auch beim geplanten Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union außen vor.

Ortega Diáz stand lange treu an der Seite des Präsidenten, aber seit März stieg sie zur weltweit beachteten Gegenspielerin Maduros auf. Als erstes kritisierte sie die Entmachtung des von der Opposition dominierten Parlaments durch den Obersten Gerichtshof. Auf ihren Druck hin wurde das entsprechende Urteil aufgehoben. In der Folge ging sie immer mehr auf Konfrontationskurs. So kritisierte sie den Plan, eine Verfassungsgebende Versammlung wählen zu lassen als Putsch gegen die unter Hugo Chávez entwickelte Verfassung, die eine Gewaltenteilung vorsieht.

Seit 2008 arbeitete die 59-Jährige als Generalstaatsanwältin, ihre Amtszeit lief eigentlich bis 2021. Aber für führende Sozialisten war sie zum Feindbild geworden. Der sozialistische Bürgermeister von Caracas, Jorge Rodríguez, warf ihr zuletzt vor, über die Zahl der Toten bei Protesten zu lügen und die Zahl zu übertreiben. Er nannte sie vor einer Woche bereits „die künftige Ex-Generalstaatsanwältin“.

Maduro hatte Ortega Diáz wegen ihrer Kritik als „Komplizin“ der Opposition dargestellt. „Mit heroischem Mut, in den Händen des Volkes, wird die Verfassungsgebende Versammlung den Frieden zurückbringen“, sagte Maduro zur Einsetzung des Gremiums. Die rund 540 Mitglieder der Versammlung, die die Verfassung reformieren sollen, waren am Freitag mit Porträts von Staatsgründer Simón Bolívar und Hugo Chávez, dem Begründer des Sozialismus-Projekts, in das Parlamentsgebäude eingezogen.

Die Porträts waren Anfang 2016 von der Opposition nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl abgehängt worden. „Nichts und niemand wird die neue Geschichte verhindern. Wir werden siegen“, sagte Maduro. Ex-Außenministerin Delcy Rodríguez wurde zur Präsidentin bestimmt. Die Versammlung werde ihn „nicht allein lassen“, sagte sie zu Maduro. Das Parlament will weiter tagen, hat aber keinen Einfluss mehr.

Damit ist der wochenlange Machtkampf vorerst entschieden, allerdings erkennen Dutzende Staaten das Vorgehen nicht an und drohen mit Sanktionen, die USA halten sich einen Öl-Importstopp offen. Venezuela hat mit über 300 Milliarden Barrel die größten Ölreserven der Welt, aber die Wirtschaft liegt brach, es gibt eine tiefe Versorgungskrise.

Die neue Versammlung war auch von Papst Franziskus kritisiert worden. Die Arbeit könnte mehrere Jahre dauern, was womöglich auch Ende 2018 anstehende Präsidentschaftswahlen nach hinten verschieben könnte. Von einer „Stunde null“ war die Rede. Die Opposition hatte zu großen Gegendemonstrationen aufgerufen, aber es kamen weit weniger Menschen als erwartet. Mit Vollzug der Versammlung könnte ihr Protesteifer zum Erliegen kommen, wird befürchtet. Seit über 120 Tagen wird gegen Maduro demonstriert, über 120 Menschen starben bisher.

Die Sozialisten sehen sich in einem Kampf um das Erbe von Chávez, das sie durch die Opposition gefährdet sehen. Misswirtschaft und Korruption haben das Land ruiniert, Schlangen vor Supermärkten und Apotheken prägen das Straßenbild und Menschen suchen im Müll nach Essensresten. Maduro gibt dem Ölpreis und einem Wirtschaftskrieg des Auslands die Schuld. Der Schwarzmarktkurs für den Dollar explodierte mit dem der Versammlung, die Inflation ist die höchste der Welt.

Das kann ein Zeichen dafür sein, dass mit verstärkter Auswanderung gerechnet und versucht wird, an Devisen zu kommen. Der Kurs lag bei 18 000 Bolivares je Dollar. Da ein Liter Benzin 6 Bolivares kostet, könnten theoretisch 3000 Liter für einen US-Dollar getankt werden.