Papst appelliert vergeblich „Venceremos“: Maduros „Stunde null“ in Caracas

Caracas (dpa) - Trotz eines Appells von Papst Franziskus hat Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro eine Reform der Verfassung eingeleitet, die das Land in eine Diktatur verwandeln könnte.

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„Nichts und niemand wird die neue Geschichte verhindern. Wir werden siegen“, sagte der Sozialist zum Start einer Verfassungsgebenden Versammlung in Caracas. Das Militär und die Polizei hatten das Parlamentsgebäude weiträumig abgeriegelt - die Volksvertretung, in der die Opposition eine Mehrheit hat, wird damit de facto entmachtet.

Ganz in rot gekleidet versammelten sich Anhänger der Sozialisten in der Nähe des Parlaments zum Einmarsch der 545 Delegierten. Um die Übernahme des Gebäudes, die Rückkehr in den Sitz der Legislative zu unterstreichen, sollten auch die Porträts des 2013 gestorbenen Präsidenten Hugo Chávez umgehend wieder aufgehängt werden. Nach Erlangen einer Zwei-Drittel-Mehrheit hatte die Opposition diese 2016 abgehängt.

Die Sozialisten hatten diese Schmach nie vergessen und das Parlament sabotiert. „Sie werden nie mehr verschwinden“, sagte die frühere Außenministerin Delcy Rodríguez, Mitglied der Verfassungsversammlung, mit Blick auf die Chávez-Porträts. Von einer „Stunde null“ war die Rede.

Das Land ist extrem gespalten. Durch die dank der zeitweise hohen Öleinnahmen erfolgte finanzielle Unterstützung und die damit verbundene deutliche Reduzierung der Armutsquote ist der Rückhalt für die Sozialisten gerade in den Armenvierteln hoch, während das aus rund 20 Parteien bestehende Oppositionsbündnis „Mesa de la Unidad Democrática“ (MUD) vor allem bei der Ober- und Mittelschicht großen Rückhalt genießt.

Wenige Stunden vor der konstituierenden Sitzung hatte der Papst mit einer ungewöhnlichen Stellungnahme Maduro dazu aufgerufen, die verfassungsgebende Versammlung „zu stoppen oder auszusetzen“. Sein Wort hat viel Gewicht - in dem 30-Millionen-Einwohner-Land sind 95 Prozent katholisch. Maduro bezeichnet sich als Freund des Papstes und wurde 2016 von ihm im Vatikan empfangen. Angesichts der vielen Toten, Verletzten und Festgenommenen beobachte man die „Radikalisierung und Verschärfung der Krise“ in dem Land mit „großer Sorge“, erklärte der Vatikan.

Trotzdem ist Maduro offensichtlich weiterhin gewillt, eine neue politische Zeitrechnung zu beginnen. Es wird befürchtet, dass die mit allen Vollmachten ausgestattete Versammlung den Weg in eine Diktatur wie in Kuba ebnen könnte. Die Versammlung soll de facto an die Stelle des bisherigen Parlaments treten und eine neue Verfassung erarbeiten. Die Immunität der bisherigen Abgeordneten könnte aufgehoben werden - Maduro hat wiederholt mit harten Strafen gedroht. Unklar ist, welche Rolle in den nächsten Monaten das Parlament noch haben wird.

Maduro spricht von einer „Versammlung des Friedens“, um nach kämpfen mit mehr als 120 Toten wieder Ruhe und Ordnung im Land mit den größten Ölreserven herzustellen. Der gefallene Ölpreis, Misswirtschaft und Korruption haben das Land ruiniert, Schlangen vor oft leeren Supermärkten und Apotheken prägen das Straßenbild. Bäckereien haben oft kein Mehl, um Brot zu backen; Menschen suchen im Müll nach Essensresten. Maduro gibt dem Ölpreis und einem Wirtschaftskrieg des Auslands die Schuld.

Parlamentspräsident Julio Borges meinte mit Blick auf den massiven Einsatz von Soldaten und Polizei, die Sicherheitskräfte „verlieren nur ihre Zeit, wenn sie den Salón Elíptico im Palast der Legislative für diesen Verfassungsbetrug einnehmen.“ Das Parlament war schon seit Monaten weitgehend wirkungslos, da Maduro mit Dekreten an den Volksvertretern vorbeiregierte.

Generalstaatsanwältin Luisa Ortega hatte versucht, die Einberufung der Verfassungsversammlung zu stoppen. Sie begründete ihren Antrag mit Vorwürfen, die Wahlbeteiligung sei manipuliert worden. Dies hatte die zuständige Firma Smartmatic unter Verweis auf Serverdaten mitgeteilt. Es hätten nicht die offiziell verkündeten 8,1 Millionen Menschen abgestimmt. Schätzungen gehen von 2,4 bis knapp 4 Millionen aus. Wahlberechtigt waren 19,4 Millionen.

Die Beteiligung galt als Gradmesser für den Rückhalt für die Pläne Maduros. Die Generalstaatsanwältin hatte mit dem Präsidenten gebrochen und ist zur Gegenspielerin geworden. Sie soll rasch abgesetzt werden. Das Oppositionsbündnis MUD hatte die Wahl boykottiert, auch weil Parteivertreter nicht kandidieren durften. Dennoch finden sich viele Mitglieder der Sozialistischen Partei in dem Gremium wieder, sie mussten vorher Partei- oder Regierungsämter niederlegen.

Als Kandidatin für den Vorsitz der Versammlung gilt Maduros Ehefrau Cilia Flores. Auch sein Sohn Nicolás Maduro Guerra ist mit dabei. EU, USA und viele Länder Lateinamerikas lehnen das gremium als „illegal“ ab und fordern die Freilassung politischer Gefangener. Überraschend wurde der langjährige Bürgermeister der Metropolregion Caracas, Antonio Ledezma, vom Gefängnis wieder in den Hausarrest überstellt.