Neuer Flüchtlingstreck auf dem Balkan
Ljubljana/Spielfeld (dpa) - Die Not der Flüchtlinge nimmt kein Ende: Zu Tausenden strömten die Menschen auch am Samstag über die Balkanroute in Richtung Österreich und Deutschland.
Allein über das kleine Grenzdorf Rigonce im Osten Sloweniens mit nur 170 Einwohnern seien innerhalb von nur zwei Tagen rund 13 000 Menschen aus Kroatien eingereist, meldete die slowenische Nachrichtenagentur STA. Angesichts wachsender Sorgen vor einer Eskalation der Lage werden inzwischen die Rufe nach neuen Grenzzäunen in Europa lauter.
Knapp 4000 Flüchtlinge warteten in der slowenischen Gemeinde Sentilj an der Grenze zu Österreich noch auf ihre Weiterreise gen Norden. Viele wollen nach Deutschland. Auf der österreichischen Seite der Grenze sah es ähnlich aus. Dort sind im Grenzgebiet in der Steiermark inzwischen 200 Polizisten im Einsatz - unterstützt von 800 Soldaten des österreichischen Bundesheeres im „Assistenzeinsatz“. Landesweit setzt das österreichische Militär dafür inzwischen 1500 Soldaten ein.
3000 Flüchtlinge übernachteten nach Polizeiangaben am Übergang Spielfeld in einem provisorischen Lager. Die Flüchtlinge konnten die Nacht zum Samstag in beheizten Zelten zubringen. Einige Flüchtlinge campierten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt dennoch im Freien, offenbar aus Sorge, sonst erst später weiterzukommen.
Viele andere Flüchtlinge waren am Vortag in den grenznahen Gemeinden Leibnitz und Wildon in Notunterkünften einquartiert worden. Sie hatten zuvor die Absperrungen durchbrochen und waren zu Fuß über die Bundesstraße nach Norden losmarschiert.
Unter den Flüchtlingen sind auch viele Frauen und Kleinkinder - oft nur notdürftig gegen Nässe und Kälte geschützt. Die meisten dieser Menschen sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen.
Der Bürgermeister von Spielfeld, Reinhold Höflechner, sagte der Deutschen Presse-Agentur, angesichts Tausender Flüchtlinge auf den Straßen und starkem Polizei- und Armeeaufgebot sei die Bevölkerung „äußerst beunruhigt“. Die Stadt sei in einem Ausnahmezustand. „Den Leuten ist nicht wohl dabei, wenn sie so eine große Zahl an fremdländischen Menschen mit fremder Sprache sehen“, sagt der konservative Politiker. Niemand wisse, wie es nun weitergehen werde. „Es muss endlich gehandelt werden, damit die Situation an der Grenze nicht endgültig eskaliert“, verlangte auch der steirische Landeshauptmann (Ministerpräsident) Hermann Schützenhöfer.
Die bayerische Polizei sieht einem möglichen Anstieg der Flüchtlingszahlen in den nächsten Tagen gelassen entgegen. An der deutsch-österreichischen Grenze in Freyung ergreift sie jedenfalls keine besonderen Maßnahmen zur Vorbereitung. Ein Sprecher sagte, in den vergangenen Tagen seien täglich 3000 Migranten eingetroffen, in der Woche zuvor bis zu 6000. Man sei deshalb ohnehin auf hohe Zahlen eingestellt. Die deutschen Beamten seien mit ihren österreichischen Kollegen in engem Kontakt und sprächen sich regelmäßig ab.
Die Hoffnungen der Balkanstaaten richteten sich auf ein Sondertreffen mehrerer EU-Staats- und Regierungschefs zur Bewältigung der Krise am Sonntag in Brüssel. Zur Vorbereitung hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker einen 16-Punkte-Plan verschickt. Das Treffen soll aus Sicht der EU-Kommission zu einem besseren Austausch der Länder entlang der Flüchtlingsroute über den westlichen Balkan führen.
Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic dämpfte aber die Erwartungen an das Krisentreffen. Mit Blick auf die Konferenzpapiere sagte er: „Wer das geschrieben hat, versteht die Lage überhaupt nicht.“ Kroatien werde Flüchtlinge nicht über längere Zeit aufnehmen, statt sie wie bisher an Slowenien weiterzureichen. Er werde bei dem Treffen „keinerlei Verpflichtungen für Kroatien übernehmen“. Vordringlich müsse die EU-Außengrenze in Griechenland gesichert werden.
Bulgarien, Rumänien und Serbien drohten mit der Schließung ihrer Grenzen für Flüchtlinge. Die drei Staaten würden ihre Grenzen abriegeln, sollten Deutschland, Österreich oder andere Staaten dies tun, sagte der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow am Samstag. „Wir werden unsere Völker nicht zur Pufferzone für die Flüchtlingsströme werden lassen, die zwischen der Türkei und den bereits errichteten Zäunen bleiben werden“, betonte der bürgerliche Regierungschef Bulgariens mit Blick auf den ungarischen Grenzzaun. Am Vortag hatte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz gesagt, Zäune könnten zum wirkungsvollen Schutz der Grenzen beitragen.