Niederlage für Chodorkowski vor Menschenrechtsgericht

Straßburg/Moskau (dpa) - Der Kremlkritiker Chodorkowski ist in Straßburg mit der Anerkennung als politischer Verfolgter gescheitert. Russland kann sich in dieser Kernfrage als Sieger fühlen. Gleichwohl verurteilte der Gerichtshof für Menschenrechte das Land erneut wegen Grundrechtsverstößen.

Der Ex-Ölmagnat und schärfste Gegner des russischen Regierungschefs Wladimir Putin ist aus Sicht der Richter in Straßburg kein Opfer politischer Justizwillkür. Gleichwohl sahen die Richter wie schon so oft in vielen anderen Prozessen russischer Bürger gegen ihren Staat auch die Rechte Chodorkowskis bei dessen Festnahme und in Haft verletzt. Menschenrechtler reagierten enttäuscht auf das Urteil und warfen den Richtern vor, sich dem Druck Russlands zu beugen.

„Wir alle sehen die politische Motivation hinter dem Verfahren gegen Chodorkowski, aber die Richter sehen das nicht. Ich bin enttäuscht von dem Europäischen Gericht“, sagte die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki-Gruppe. Auch Chodorkowskis Anwälte betonten, dass sie an dem Hauptvorwurf gegen den russischen Staat festhalten. Der einst reichste Mann Russlands, der den inzwischen zerschlagenen Ölkonzern Yukos führte, sitzt seit 2003 in Haft. Chodorkowski wirft dem damaligen Präsidenten Putin vor, das Verfahren inszeniert zu haben, weil er als Kremlgegner die Opposition mit finanziert habe.

Ein Sprecher Chodorkowskis bewertete den Richterspruch als Teilerfolg, weil Russland seinem berühmtesten Häftling für erlittenes Unrecht 10 000 Euro zahlen muss. Allerdings stellten die Richter in Straßburg das Verfahren gegen Chodorkowski nicht grundsätzlich in Frage. Auch politisch engagierte Unternehmer hätten keinen Anspruch auf Immunität, urteilte das Gericht. Die Beweise für ein politisch gesteuertes Verfahren fehlten demnach.

„Auch wenn Zweifel an der wirklichen Absicht der russischen Behörden für das Gerichtsverfahren gegen Chodorkowski angebracht sind, so erfordert eine Klage über eine politische Motivation unanfechtbare Beweise, die nicht erbracht wurden“, hieß es in dem Urteil. Auch die russische Opposition kritisierte diesen für Chodorkowski entscheidenden Teil des Urteils. „Der Richterspruch stärkt die russischen Machthaber im Kampf gegen die Opposition“, sagte der Chef der liberalen Partei Jabloko, Sergej Mitrochin.

Der in Straßburg behandelte erste Moskauer Prozess gegen Chodorkowski sei „ohne jede Frage“ und „ganz offensichtlich“ politisch motiviert gewesen, sagte die Moskauer Chefin der Organisation Human Rights Watch (HRW), Tatjana Lokschina. Chodorkowskis Anwältin Karinna Moskalenko warf den Straßburger Richtern vor, bei politischen Fragen zurückhaltend zu sein. Sein Verteidiger Juri Schmidt wies nach Angaben der Agentur Interfax darauf hin, dass gegen die Entscheidung Berufung möglich sei.

Der in Moskau inhaftierte Chodorkowski selbst wolle das gesamte Urteil erst studieren, habe sich über den Teilerfolg aber zufrieden gezeigt, sagte ein Sprecher. Medien in Moskau meinten hingegen, dass Chodorkowski nun offiziell in Europa „als Verbrecher anerkannt“ sei.

Die sieben Richter in Straßburg gingen allerdings mit der von Korruption und Willkür geprägten russischen Justiz hart ins Gericht. Die Vorführung Chodorkowskis in einem scharf bewachten Käfig im Gerichtssaal, wo er mit seinen Anwälten nur durch die Gitterstäbe kommunizieren konnte, bewerteten sie als unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Auch die Untersuchungshaft Chodorkowskis zwischen August und Oktober 2005 in einer engen Zelle unter entsetzlichen hygienischen Umständen sei ein Grundrechtsverstoß.

Das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde aus mehreren Gründen verletzt: wegen der Umstände der Festnahme des früheren Yukos-Chefs im Oktober 2003, wegen der Dauer seiner Untersuchungshaft und wegen Verfahrensmängeln. Die russische Justiz habe Chodorkowskis Untersuchungshaft zweimal ohne Begründung verlängert und keine Alternativen zu einer Haft geprüft, hieß es.

Der Gerichtshof wies Chodorkowski auch die Erstattung von knapp 15 000 Euro Gerichtskosten zu. Das Urteil betraf zunächst nur den ersten Strafprozess gegen Chodorkowski, bei dem er 2005 wegen Betrugs, Veruntreuung und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Straflager verurteilt worden war. Wie es jetzt weitergeht, bleibt der russischen Justiz überlassen. In Moskau prüft aktuell ein Gericht den Antrag Chodorkowskis auf vorzeitige Haftentlassung. Ansonsten muss er noch bis 2016 hinter Gitter bleiben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasst sich noch mit drei weiteren Beschwerden Chodorkowskis. Eine betrifft die Haftbedingungen nach der Verurteilung im ersten Verfahren. Bei einer weiteren Klage Chodorkowskis und seines Ex-Geschäftspartners Platon Lebedew geht es um die Bedingungen des zweiten Strafverfahrens. Außerdem ist noch eine Milliardenklage früherer Yukos-Aktionäre anhängig. Sie werfen der Führung in Moskau Zwangsenteignung vor.