Niederlande leiten Untersuchung zu MH17
Kiew/Charkow/Den Haag (dpa) - Die ersten Opfer des Flugzeugabsturzes in der Ostukraine sollen an diesem Mittwoch in den Niederlanden eintreffen. Das Land übernahm am Dienstag offiziell auch die Leitung der internationalen Untersuchung zur Absturzursache von Flug MH17 der Malaysia Airlines.
Die Ukraine habe darum gebeten, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte in Den Haag. Die ukrainische Führung in Kiew ordnete eine weitere Teilmobilmachung an, um den Druck auf die prorussischen Separatisten im Osten zu erhöhen.
Die Außenminister der Europäischen Union (EU) gaben Russland eine Mitschuld am mutmaßlichen Abschuss der Boeing 777-200 mit 298 Menschen an Bord. Bei einem Treffen in Brüssel bereiteten die Minister schärfere Sanktionen gegen Moskau vor; auch Waffen-Exporte könnten verboten werden. Beschlüsse gab es aber nicht.
Ein Kühlzug mit den sterblichen Überresten der Passagiere und Besatzungsmitglieder traf am Dienstag in der ostukrainischen Stadt Charkow ein, die von der Regierung in Kiew kontrolliert wird. „Nach vorläufigen Informationen sind 282 Leichen und 87 Leichenteile, die nach vorläufigen Angaben zu 16 Personen gehören, eingetroffen“, sagte der zuständige ukrainische Vizeregierungschef Wladimir Groisman.
In Charkow stand eine niederländische Hercules-Militärmaschine bereit. Nach einer ersten Untersuchung sollen die Opfer gruppenweise nach Eindhoven unweit der deutschen Grenze ausgeflogen und dann in einer Kaserne nahe Amsterdam identifiziert werden. „Wir wollen das so gut wie möglich und so schnell wie möglich machen“, sagte Rutte. Allein die Niederlande hatten bei dem Absturz 193 Tote zu beklagen.
Nach Angaben Ruttes waren auch die Flugschreiber der Boeing in dem Zug. Die Separatistenführung in Donezk hatte die Blackboxes in der Nacht an eine Delegation aus Malaysia übergeben. Dabei bestritt Separatistenführer Alexander Borodaj erneut, dass Aufständische das Flugzeug abgeschossen hätten. Die Flugschreiber sollen zunächst in Großbritannien ausgewertet werden.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko begründete die Teilmobilmachung damit, dass die nationale Unabhängigkeit gesichert werden müsse. Das Parlament bestätigte seinen Erlass, weitere Reservisten und Männer im wehrdienstfähigen Alter einzuberufen. In Kiew wurde allerdings nicht erwartet, dass tatsächlich viel mehr Männer zum Militär gehen werden. Mit den zusätzlichen Kräften will Poroschenko härter gegen die Separatisten vorgehen.
Der russische Präsident Wladimir Putin verlangte von Kiew eine Feuerpause, solange in der Ostukraine nach der Absturzursache gesucht wird. Bei einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates in Moskau sagte Putin, Russland versuche auf die Separatisten einzuwirken, damit diese eine vollständige Aufklärung ermöglichen. Poroschenko hatte am Montag eine Waffenruhe verkündet, die auf 40 Kilometer im Umkreis um die Absturzstelle gelten sollte.
Am Rande dieser Zone gab es allerdings heftige Gefechte, auch in der Großstadt Donezk. Nach nicht bestätigten Angaben wollten auch die Separatisten eine Feuerpause um die Unglücksstelle einhalten.
Nach dem Abtransport der Opfer wollen internationale Experten direkt vor Ort die Ursache ermitteln. Ein Team aus Malaysia sichtete am Dienstag das Trümmerfeld.
Die EU-Außenminister in Brüssel kritisierten Russland scharf. „Russland hat seine Verabredungen nicht in dem erforderlichen Maße erfüllt“, sagte der deutsche Minister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Die EU sei bereit, mit allen diplomatischen Mitteln zu einer Entschärfung der Krise beizutragen. „Aber es wird notwendig sein, diese Bereitschaft zu begleiten durch höheren Druck, das heißt auch in schärfere Maßnahmen einzutreten.“ Russland habe seine Grenze zur Ukraine nicht für Waffen und Kämpfer geschlossen.
Nach westlichen Vermutungen wurde Flug MH17, der von Amsterdam nach Kuala Lumpur gehen sollte, am vergangenen Donnerstag von Separatisten mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen. Moskau wird für das Verhalten der Separatisten verantwortlich gemacht.
Die EU-Liste der Personen, die Einreiseverboten und Kontensperrungen unterliegen, solle in den nächsten Tagen erweitert werden, sagte der niederländische Außenminister Frans Timmermans. Bisher sind 72 Russen und prorussische Ukrainer davon betroffen. Zudem soll die EU-Kommission Maßnahmen in den Bereichen Rüstung, Energietechnik und Banken vorschlagen. Die Beschränkungen treffen nicht die Lieferung zweier Hubschrauberträger von Frankreich an Russland.
Unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprachen Vertreter der Führung in Kiew und der Aufständischen bei einer Videokonferenz über die Lage in der Ostukraine. Der sogenannten Kontaktgruppe gehört auch der russische Botschafter Michail Subarow an. Auch der Umgang mit Beweismitteln an der Absturzstelle sei erörtert worden, teilte die OSZE mit. In Warschau äußerten sich die Präsidenten der ostmitteleuropäischen Staaten am Dienstag besorgt über die Sicherheitslage in ihrer Region.
Der australische Ministerpräsident Tony Abbott kritisierte nach dem mutmaßlichen Abschuss eine Manipulation von Beweisen. „Nach dem Verbrechen kommt die Vertuschung. Was wir gesehen haben, ist die Manipulation von Beweisen in industriellem Ausmaß und das muss natürlich aufhören“, sagte Abbott. Er macht die Separatisten für den Absturz verantwortlich, bei dem 37 Australier starben.