Türkei Österreich auf Kontra-Kurs zu AKP

Das Nachbarland will klar gegen Erdogans Anhänger vorgehen, in Deutschland schweigt die Politik.

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Wien/Düsseldorf. Donnerstag platzte dem österreichischen Außenminister endgültig der Kragen: „Wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren will, dem steht es frei, unser Land zu verlassen“, sagte Sebastian Kurz (ÖVP) nach übereinstimmenden Medienberichten in einem Telefoninterview.

Zuvor hatte Kurz den türkischen Botschafter einbestellt. Sein Außenministerium habe Hinweise erhalten, dass die „Demonstranten in Österreich direkt aus der Türkei aufgefordert worden sind“. Das, so Kurz, sei „absolut unhaltbar“, protestiere man. Bei Protesten von Erdogan-Anhängern war in Wien ein kurdisches Restaurant angegriffen worden.

Während die österreichische Politik bis hinauf zum Bundeskanzler sich aller Deutlichkeit verbittet, türkische Innenpolitik auf Österreichs Straßen austragen zu lassen, tut die deutsche Politik bei identischer Nachrichten-Lage — nichts. Auf Bundes- wie auch auf Landesebene in NRW gab es keine Reaktion auf die unangemeldeten, aber keineswegs spontanen Demonstrationen von Erdogan-Anhängern am vergangenen Wochenende, bei denen am Samstag in Gelsenkirchen 150 Demonstranten einen angeblich der Gülen-Bewegung nahestehenden Jugendtreff belagerten und Fensterscheiben mit Pflastersteinen einwarfen.

Laut einem Bericht der WAZ war ein Großaufgebot der Polizei mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei aus Köln nötig, um in Gelsenkirchen für Ruhe zu sorgen. Und: Auch bei den zahlreichen Demonstrationen in Ruhrgebietsstädten soll wie in Österreich die Mobilisierung der unangemeldeten Zusammenkünfte über Telefonlisten und WhatsApp-Gruppen gelaufen sein. Viele Türken und türkeistämmige Deutsche im Ruhrgebiet hätten Textnachrichten wie etwa diese erhalten, so die WAZ: „Nimm dir eine Fahne in die Hand, setz dich ein für dein Land.“

Sowohl die NRW-Landesregierung als auch der Bund hätten analog zur österrischen Politik allen Anlass, den türkischen AKP- und Erdogan-Anhängern ihre Grenzen aufzuzeigen. Das Düsseldorfer Generalkonsulat der Türkei verbreitete in dieser Woche eine „Information“, in der die Gülen-Bewegung als „putschende Terrororganisation“ bezeichnet wird.

Parallel dazu verbreitete der deutschsprachige Internetableger der Erdogan-freundlichen Zeitung „Sabah“ unter der Überschrift „Deutschland ist der Gülen-Hauptsitz“ eine Sammlung echter oder vermeintlicher Aktivitäten der Gülen-Bewegung mit der Behauptung: „Die Gülen-Bewegung, die hinter dem Putschversuch in der Türkei steckt, bedroht auch Deutschland.“

Fakt ist: Nach unterschiedlichen Quellen betreibt die Bewegung, deren innere Struktur sektenartig organisiert sein soll, in Deutschland hunderte Nachhilfe-Vereine, Schulen und „Lichthäuser“ genannte Wohngemeinschaften, in denen vor allem bildungs- und aufstiegsorientierte junge Türken für einen türkisch geprägten Islam nach den Vorstellungen von Fethullah Gülen gewinnen — Erdogans einstigen Verbündeten und heutigen Erzfeind.

Gegenüber der deutschen Öffentlichkeit tritt dagegen Erdogans eigene Auslandstruppe deutlicher in Erscheinung, die 2004 in Köln gegründete „Union der Europäisch-Türkischen Demokraten“ (UETD). Ihr Vorsitzender Zafer Sirakaya — nach türkischen Medien-Angaben 1974 in Herne geboren, aber nach der Grundschule zur Sicherstellung seines Türkentums in die Heimat der Eltern geschickt — ist Vorsitzender des Brüsseler AKP-Büros. Einer seiner zahlreichen Stellvertreter ist der Solinger Rechtsanwalt Fatih Zingal, dem in deutschen Talkshows häufiger die Rolle des Erdogan-Verteidigers zufällt.

Die UETD hat nach eigenen Angaben Anlaufstellen in den Städten Berlin, Bielefeld, Bremen, Düsseldorf und Köln sowie regional in Süd-Bayern, Nord-Bayern, Hamburg, Hessen, dem Raum Rhein-Neckar, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Ruhr und Württemberg. Die UETD organisierte 2008 Erdogans Wahlkampfauftritt in der Köln-Arena, bei der er Assimilation als „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnete. 2015 fuhr sie Türken aus dem Ruhrgebiet zu Erdogans Auftritt in Belgien.

Sie unterzeichnete mit der türkisch-staatlichen Moschee-Organisation Ditib an führender Stelle den offenen Brief, mit dem die deutschen Bundestagsabgeordneten unter Druck gesetzt werden sollten, nicht für Armenien-Resolution zu stimmen, in der der osmanische Völkermord nun auch Völkermord genannt wird.

In ihren anmaßenden Verlautbarungen erklärt die UETD gern Dritten, was diese zu tun oder zu lassen hätten. Am Montag rief sie Journalisten und Politiker auf, „sich deutlich gegen diesen Putsch zu positionieren und falsche Beschuldigungen zu unterlassen“. Am Mittwoch wollte sie der Öffentlichkeit weismachen, es würden fälschlicherweise in ihrem Namen Aufrufe zu Denunziation verbreitet. In Österreich hatte die UETD am Wochenende via Facebook zu einer Pro-Erdogan-Demonstration aufgerufen und zugleich den Aufruf verbreitet, „verdächtige Äußerungen“ an türkische Regierungs-Emailadressen zu melden.

Während Österreichs Politik reagiert, sieht die deutsche Politik der Austragung türkischer Innenpolitik in Deutschland kommentarlos zu.