Pakistan: Verfassungsgericht ordnet Festnahme von Premierminister an
Islamabad (dpa) - Das pakistanische Verfassungsgericht hat die Festnahme von Premierminister Raja Pervez Ashraf angeordnet und damit eine neue Regierungskrise der Atommacht ausgelöst.
Das Gericht wies den Sonderstaatsanwalt der Anti-Korruptionsbehörde am Dienstag an, insgesamt 16 Verdächtige „ohne jedes Zögern“ festzunehmen. Darunter ist Ashraf, der verdächtigt wird, in seiner Zeit als Energieminister von Stromfirmen Schmiergeld angenommen zu haben. Zwischen dem Verfassungsgericht und der von der Volkspartei PPP geführten Regierung herrscht seit Jahren Streit.
Im Fall einer Verurteilung müsste Ashraf bereits als zweiter Regierungschef seit vergangenem Juni sein Amt niederlegen. Kurz vor der Anordnung des Gerichts hatte der muslimische Geistliche Muhammad Tahir ul Qadri in Islamabad den Rücktritt der Regierung verlangt. Tausende Anhänger Qadris nahmen die Nachricht aus dem Gericht mit Jubel auf. Qadri reagierte mit den Worten: „Sieg! Sieg! Sieg!“ Er hatte am Montag einen Protestzug von Lahore nach Islamabad angeführt. Nach der Ankunft in der Hauptstadt sagte er: „Der lange Marsch ist beendet, und jetzt beginnt eine Revolution.“
Innenminister Rehman Malik sagte nach dem Gerichtsbeschluss, Ashraf „war Premierminister und wird Premierminister bleiben“. Informationsminister Qamar Zaman Kaira sagte dem Sender Geo TV, die Regierung habe keine „schriftliche Anordnung“ des Gerichts erhalten. Die Legislaturperiode in Pakistan läuft im März ab. Dann übernimmt laut Verfassung eine Übergangsregierung für 60 Tage, um Parlamentswahlen vorzubereiten.
Im aktuellen Fall hatte die Regierung während Ashrafs Zeit als Energieminister zwischen 2008 und 2011 Privatfirmen mit dem Bau von Kraftwerken beauftragt. Bei der Auftragsvergabe soll den Vorwürfen zufolge Geld zurück an Regierungsvertreter geflossen sein. Viele Kraftwerke wurden nie gebaut. Die Energiekrise mit stundenlangen Stromausfällen selbst in Metropolen dauert bis heute an.
Das Verfassungsgericht stoppte das Projekt im März 2012 und verhängte hohe Geldstrafen gegen die Firmen. Das Gericht ordnete die Anti-Korruptionsbehörde außerdem an, Anklagen gegen Beschuldigte vorzubereiten, darunter Ashraf. Im vergangenen April - Ashraf war zu dem Zeitpunkt wegen der Korruptionsvorwürfe bereits ins Amt des Ministers für Informationstechnologie gewechselt - war er mehr als drei Stunden lang von der Behörde verhört worden.
Die pakistanische Regierung steht außerdem im Kaschmir-Konflikt unter Druck. Indien verschärfte den Ton gegenüber der Regierung in Islamabad weiter. „Nach dieser barbarischen Tat kann es nicht weitergehen wie bisher“, sagte Premierminister Manmohan Singh mit Blick auf zwei Soldaten, deren Leichen nach indischen Angaben von pakistanischen Truppen verstümmelt wurden.
Islamabad weist das zurück und bezichtigt Indien, zwei pakistanische Soldaten bei Verletzungen des Waffenstillstands getötet zu haben. Neu Delhi setzte Visa-Erleichterungen für pakistanische Senioren aus, die am Dienstag in Kraft treten sollten.
Der Regierung in Islamabad setzen außerdem anhaltende Terrorangriffe zu. In der vergangenen Woche war es in Pakistan zu der schwersten Anschlagsserie seit Monaten mit weit über 100 Toten gekommen. Die meisten Opfer hatte die schiitische Minderheit zu beklagen.
Das Verfassungsgericht unter dem streitbaren Vorsitzenden Iftikhar Chaudhry hatte Ashrafs Vorgänger als Regierungschef, Yousuf Raza Gilani, im vergangenen Juni des Amtes enthoben. Gilani hatte sich geweigert, die Behörden in der Schweiz um die Wiederaufnahme eines Geldwäscheverfahrens gegen Präsident Zardari zu bitten. Er wurde wegen Missachtung des Gerichts verurteilt. Einen ursprünglich vorgesehenen Nachfolger verhinderte das Verfassungsgericht, indem es gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen Haftbefehl erließ.
Schließlich wurde Ashraf im Juni vereidigt. Im August kassierte das Verfassungsgericht ein neues Gesetz, das den Staats- und den Regierungschef vor Bestrafung wegen Missachtung des Gerichts schützen sollte. Ashrafs Regierung bat die Behörden in der Schweiz daraufhin um eine Wiederaufnahme von Ermittlungen gegen Präsident Asif Ali Zardari, nicht aber um eine Neuauflage des Verfahrens. Das Verfassungsgericht billigte den Brief im vergangenen Oktober. Zardari ist auch PPP-Chef.