Heikle Mission in Chile Papst bittet um Verzeihung für Missbrauch
Santiago de Chile (dpa) - Chile ist vermintes Gelände für Papst Franziskus. Umfragen zufolge bekennen sich weniger als die Hälfte der Menschen in dem südamerikanischen Land noch zum katholischen Glauben, nirgendwo sonst in Lateinamerika ist das Vertrauen in die Kirche so erschüttert.
Vor allem der Missbrauchsskandal um einen einflussreichen Priester hat das Bild des Vatikan besudelt.
Zum Auftakt seiner sechsten Lateinamerikareise bat Franziskus um Verzeihung für den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche. „Wir müssen uns dafür einsetzen, dass sich dies nicht wiederholt“, sagte er am Dienstag im Regierungspalast La Moneda, wo er von Chiles Staatschefin Michelle Bachelet empfangen wurde. Der Papst bezog sich auf den Fall des Priesterausbilders Fernando Karadima, dessen Taten womöglich von Bischöfen gedeckt wurden. Ein vatikanisches Gericht hatte ihn 2011 wegen sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen.
„Ich kann nicht umhin, den Schmerz und die Scham zum Ausdruck zu bringen, die ich angesichts des nicht wieder gutzumachenden Schadens empfinde, der Kindern von Geistlichen der Kirche zugefügt worden ist“, sagte der Pontifex. Bei der ersten Messe der Reise im O'Higgins-Park rief er die Menschen zudem zu einem aktiven Einsatz für mehr Gerechtigkeit auf. Wer Frieden wolle, müsse für die Gerechtigkeit arbeiten, sagte er vor rund 400 000 Menschen.
„Ich werde diesen Tag niemals vergessen“, sagte Ricardo Vázquez aus dem Viertel Ñuñoa, der die Messe besuchte. „In Chile fehlt uns Einheit, es herrscht wenig Respekt. Wir sollten die Geschlossenheit und die Demut stärken.“ Alejandra aus Melipilla sagte: „Wir Chilenen sind sehr gespalten, deshalb war diese Botschaft der Einheit und des Friedens sehr wichtig.“
Es gab jedoch auch negative Einschätzungen. „Leere Worte“ bezeichnete einer der Kläger gegen Karadima, der Journalist Juan Carlos Cruz, die Bitte des Papstes um Verzeihung. Die Bischöfe, die die Sexualverbrechen lange Zeit vertuscht hätten, seien weiterhin im Amt, erklärte Cruz dem Staatsfernsehen TVN. Insbesondere die Teilnahme des Bischofs von Osorno, Juan Barros, als Konzelebrant der Messe wurde kritisiert. Barros soll seinen Ausbilder Karadima beschützt haben. Einige Dutzend Demonstranten forderten seinen Rücktritt beim Vorbeifahren des Papamobils auf den Straßen Santiagos.
Franziskus hat für seine Reise nach Chile und Peru eine ganze Reihe heikler Themen gewählt: Vertreibungen, Umweltzerstörung, Migration. Am Mittwoch will er in der südchilenischen Stadt Temuco mit Vertretern der indigenen Mapuche zusammenkommen, die seit Jahrzehnten um die Rückgabe von Ländereien kämpfen. In Peru reist der Papst ins Amazonasgebiet, wo illegaler Bergbau die Lebensgrundlage der Urbevölkerung bedroht.
„Wir erleben in Chile und Peru wie in ganz Lateinamerika die Zerstörung der Lebenswelt der indigenen Völker“, sagte der Leiter der Projektabteilung des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Thomas Wieland. „Staatliche und internationale Erdölfirmen, das Agrobusiness, illegale Goldsucher oder gigantische staatliche Infrastrukturprojekte - es sind schier übermächtige Gegner, die das Leben der ursprünglichen Völker in den wenigen verbliebenen unberührten Gebieten existenziell bedrohen.“
Bei seiner Rede im La-Moneda-Palast forderte Franziskus die chilenische Gesellschaft auf, die „kulturelle Polyphonie“ des Landes zu schützen. Von der Weisheit der indigenen Völker könne man lernen, dass es keine Entwicklung für ein Volk gebe, das die Erde zerstöre.
Auch auf seiner sechsten Reise nach Lateinamerika macht Franziskus einen Bogen um sein Heimatland Argentinien. Bis zu 800 000 Argentinier wollten deshalb nach Chile reisen, um ihren Landsmann zu sehen. Beim Flug über Argentinien schickte der Papst eine Grußbotschaft an Präsident Mauricio Macri. Er sei den Argentiniern nahe und segne sie, versicherte der Pontifex.
Nach seiner Ankunft in Santiago de Chile am Montagabend (Ortszeit) war der Pontifex zunächst zur Kirche San Luis Beltrán im einfachen Viertel Pudahuel gefahren. Dort betete er am Grab von Bischof Enrique Alvear. Der „Priester der Armen“ hatte sich während der Militärjunta von General Augusto Pinochet (1973-1990) immer wieder für die Menschenrechte eingesetzt. Tausende Gläubige säumten die Wegstrecke des Papstes und jubelten dem katholischen Kirchenoberhaupt zu.
Allerdings waren nicht alle Chilenen vom Besuch des Papstes begeistert. In den vergangenen Tagen wurden in Chile mehrere Brandanschläge gegen Kirchen verübt, bei denen nur geringer Sachschaden entstand. Auf Flugblättern an den Tatorten wurden der Kampf der Mapuche um Ländereien unterstützt und die katholische Kirche angeprangert. Auch nach der Ankunft von Franziskus gingen zwei Kapellen im Süden Chiles am frühen Dienstag in Flammen auf.