Aufarbeitung eines dunklen Kapitels im Leben. Clarissa Vogel hat ein Buch über sexuellen Missbrauch geschrieben
Düsseldorf · Es passiert fast immer in der Familie oder im engen Freundeskreis. Die Betroffenen schweigen aus Angst, Scham oder weil sie einfach noch zu jung sind, um sich Hilfe suchen zu können. Die angezeigten Straftaten des sexuellen Missbrauchs an Kindern stiegen laut Kriminalstatistik der Bundesregierung zwischen 2019 und 2020 um rund 11 Prozent.
Die Dunkelziffer ist jedoch weitaus höher.
In einem sehr bewegenden und streckenweise kaum zu ertragenden Buch hat Clarissa Vogel das aufgeschrieben, was ihr als kleines Mädchen über zehn Jahre hinweg zugestoßen ist. „Ich möchte offen zu meiner Geschichte stehen, damit ich anderen Betroffenen Mut machen kann“, erklärt die Düsseldorferin, warum sie sich dazu entschlossen hat, den Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Geschichte ist eine des Missbrauchs, den sie dort erfahren hat, wo sie sich als Kind hätte sicher fühlen müssen: bei den Großeltern.
In „Manchmal konnte ich vor Angst nicht atmen“ beschreibt die inzwischen 35-Jährige aber auch ihren Weg ins Erwachsenenleben, mit Therapien, Rückschlägen und Menschen an ihrer Seite, die ihr Kraft gegeben haben.
Bevor sich Clarissa Vogel entschied, ein Buch zu schreiben, hatte sie schon über mehrere Jahre hinweg anonym einen Facebook-Blog. Den habe sie begonnen, weil „ich ganz viele Gedanken hatte, die ich nicht aussprechen konnte, aber aufschreiben wollte.“ Mit ihrem Umfeld, dem Freund, der Mutter, konnte Clarissa Vogel darüber nicht sprechen. Aber durch den Internetblog merkte sie schnell, es gibt auch andere Betroffene, die ähnliches erlebt haben. „Dieses Gefühl, nicht mehr alleine zu sein, hat mir sehr gutgetan“, erinnert sie sich. Nach dem Tod des Stiefgroßvaters, der sie gemeinsam mit anderen Männern gequält, missbraucht und dabei gefilmt hat, während die Großmutter nebenan in der Küche oder im Wohnzimmer war, begann Clarissa Vogels schwerer Weg aus dem Trauma. Sie studierte Sozialpädagogik, machte eine Therapie, hatte einen Freund und arbeitete auf eigenen Wunsch in der Wohnungslosenhilfe. „Ich habe meine Arbeit geliebt und auch das Leben“, resümiert sie. Bis zu dem Tag, als einer ihrer Klienten sie im Büro angriff und sie einen Nervenzusammenbruch erlitt. Plötzlich war alles wieder da. Alte Wunden rissen wieder auf und machten ihr deutlich, dass sie ihr Kindheitstrauma längst noch nicht verarbeitet oder gar überwunden hatte.
Ihr Arbeitgeber unterstützt die junge Frau ebenso dabei, wie ihre Mutter und ihr Partner. Mit ihnen hat sie auch die Entscheidung, ein Buch zu schreiben, abgesprochen. „Ich bin nicht schuld an dem, was passiert ist und deshalb muss ich mich dafür auch nicht schämen oder verstecken. Man kann zu sich selbst stehen und man muss es auch.“, sagt Clarissa Vogel und appelliert an die Leser: „Die Mehrzahl der Kindesmisshandlungen finden in der Familie oder durch ihr nahestehende Personen statt. Für das Kind sind es Menschen, die ihm eigentlich Schutz geben sollten. Die ganze Welt eines Kindes dreht sich um diese Menschen und es ist selbst nicht in der Lage, sich Hilfe zu holen.“