Pariser Völkermord-Gesetz bringt Türkei in Rage
Paris/Istanbul (dpa) - Die vor fast 100 Jahren verübten Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich sorgen für einen Eklat zwischen der Türkei und Frankreich. Wegen des Pariser Genozid-Gesetzes schränkt Ankara die Beziehungen ein.
Sarkozy betreibe Wahlkampf-Manöver, so der Vorwurf.
Die Türkei legte die Beziehungen zu Frankreich nur Stunden nach einer Zustimmung der französischen Nationalversammlung zu dem umstrittenen Völkermord-Gesetz weitgehend auf Eis. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan reagierte damit auf einen Gesetzentwurf, mit dem in Frankreich auch die Leugnung eines Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich unter Strafe gestellt werden soll. Die türkische Regierung berief ihren Botschafter auf unbestimmte Zeit zu Konsultationen zurück. Erdogan sagte zudem, die politische, militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich werde ausgesetzt.
„Mein Botschafter wird morgen (Freitag) für einen unbestimmten Zeitraum in die Türkei abreisen“, erklärte der türkische Botschaftssprecher Engin Solakoglu der Nachrichtenagentur dpa in Paris. Französische Militärflugzeuge dürften die Türkei nicht mehr überfliegen, die Marine türkische Häfen nicht mehr anlaufen, sagte Erdogan wenig später auf einer von türkischen Fernsehsendern übertragenen Pressekonferenz in Ankara. Zudem würden Treffen bilateraler Arbeitsgruppen und eine für Januar geplante Wirtschaftskonferenz abgesagt.
Die Zustimmung der französischen Nationalversammlung zu dem Entwurf für ein umstrittenes Völkermord-Gesetz reiße alte Wunden auf, die nur schwer zu heilen seien, sagte Erdogan. „Wir haben in unserer Geschichte keinen Völkermord“, sagte Erdogan. „Wir werden die Welt an die vergessenen französischen Gräueltaten erinnern.“
Das am Donnerstag in erster Lesung in Paris gebilligte Gesetz stellt die Leugnung offiziell anerkannter Völkermorde unter Strafe. Nach französischer Lesart fallen darunter auch die Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915-1917.
Im Osmanischen Reich kamen nach unterschiedlichen Schätzungen während des Ersten Weltkriegs zwischen 200 000 und 1,5 Millionen Armenier ums Leben. Die Gräueltaten an den Armeniern wurden von mehr als einem Dutzend Staaten als Völkermord gewertet. Dazu gehören Frankreich und die Schweiz. Die Türkei als Nachfolger des Osmanischen Reiches streitet einen Völkermord ab.
Der von der konservativen UMP-Abgeordneten Valérie Boyer eingebrachte Entwurf passierte die erste Parlamentskammer über alle Parteigrenzen hinweg mit einer großen Mehrheit der 50 anwesenden Abgeordneten - nur ein halbes Dutzend Parlamentarier stimmte dagegen. Der Entwurf muss nun noch vom Senat gebilligt werden.
Boyer meinte nach der Abstimmung im Nachrichtensender BFM-TV mit Blick auf die türkischen Drohungen: „Wir befinden uns nicht in einer türkisch-französischen Debatte, wir sind französische Abgeordnete, die vom französischen Volk gewählt wurden.“ Das Gesetz ziele nicht auf die heutige Türkei oder deren Regierung. Es sei paradox, dass ein Land, das die Aufnahme in die EU anstrebe, mit Repressalien drohe.
Die Türkei sieht im geplanten Gesetz ein Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy vor der Wahl 2012. Er ziele damit auf armenischstämmige Wähler im Land, hieß es. Bei der offenen Abstimmung unterstützten allerdings auch die oppositionellen Sozialisten den Entwurf. Unmittelbar zuvor hatten rund tausend Menschen vor der Nationalversammlung dagegen den Gesetzesvorstoß protestiert.
Armenien dankte Frankreich offiziell für das Genozid-Gesetz. Der französische Staat habe damit bewiesen, dass die Menschenrechte die höchsten Werte überhaupt seien, sagte der armenische Außenminister Edward Nalbandjan am Donnerstag nach Angaben von Medien in Eriwan. Wegen des Streits um die Gräueltaten ist die Grenze zwischen Armenien und der Türkei geschlossen.