Türkei Referendum: Erdogan-Seite „nicht sehr glücklich“
Bonn. Der frühere Chefredakteur der linksliberalen türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar (55), hofft unverändert auf ein Scheitern des Erdogan-Referendums in der Türkei, über das Auslandstürken auch in Deutschland noch bis zum 9. April abstimmen.
Dündar droht wegen angeblicher Spionage in der Türkei eine Haftstrafe, im Mai 2016 wurde er der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen für schuldig befunden. Dündar verließ die Türkei im Sommer 2016, er lebt und arbeitet vorläufig in Berlin. Dort gründete er das Online-Portal „Özgürüz“ (deutsch: Wir sind frei), das unabhängig über die Zustände in der Türkei berichtet. Mit Dündar sprach WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel.
Herr Dündar, gibt es verlässliche Angaben über die bisherige Wahlbeteiligung der Auslands-Türken, und ob sie mehrheitlich für oder gegen das Referendum stimmen?
Can Dündar: Solche Zahlen hat niemand, auch wenn es behauptet wird. Ich beobachte die Pro-Erdogan-Seite und stelle fest, dass sie nicht sehr glücklich ist. Deshalb machen sie ja weiter Druck. Das stimmt mich optimistisch für das Endergebnis.
Wenn das Ergebnis nicht nach Erdogans Wunsch ausfällt — glauben Sie, dass er es trotzdem akzeptieren wird?
Dündar: Er sollte, und er muss. Die Wahl im Sommer 2015 hat er verloren und musste es akzeptieren. Er hat die Situation dann allerdings innerhalb von fünf Monaten gedreht und die nächste Wahl im November 2015 gewonnen. Er weiß, wie man Politik managt. Wenn er das Referendum verliert, muss man also anschließend mit einer neuen sehr ernsthaften Situation rechnen.
Die Opposition sitzt mehrheitlich im Gefängnis, sie ist aber nach Ihrer Einschätzung auch schlecht organisiert. Sehen Sie überhaupt eine realistische Chance, die faktische Diktatur mit demokratischen Mitteln zu überwinden?
Dündar: Ja. Nahezu alle Meinungsumfragen zum Referendum sehen für Pro und Contra jeweils 50 Prozent. Das bedeutet, dass die Hälfte des Landes ihm nicht folgt. Und es gehört natürlich viel Mut dazu, „Nein“ zu sagen. Auf diese tapferen Menschen setze ich. Und: Zum ersten Mal in 15 Jahren Erdogan geht es der Wirtschaft schlecht, der Tourismus kollabiert. Dazu kommen seine Probleme mit der EU und allen Nachbarn. Es wird für Erdogan nicht leichter, eine Mehrheit auf seine Seite zu bekommen.
Was denken Sie, wie die Ära Erdogan enden wird? Und was kommt danach?
Dündar: Gute Frage. Ich hoffe, sie endet auf demokratische Art und Weise. Erdogan wird allerdings nicht einfach aufgeben, und es wird dauern. Es wird auch eine Zeit brauchen, diese tief gespaltene Nation zu heilen. Danach sind unterschiedliche Koalitionen denkbar. Es gibt auch in der AKP Vertreter eines sanfteren Islamismus, die derzeit schweigen, aber die Gräben überwinden können.
Sie leben derzeit überwiegend in Berlin. Was wäre aus Ihrer Sicht in Zukunft nötig, um die offenkundig gescheiterte Integration vieler Türken in Deutschland zu reparieren?
Dündar: Es gibt eine Vielzahl von Problemen, und Deutschland sollte seine Integrationspolitik von Grund auf neu überdenken. Wenn Türken, die hier in der dritten Generation auf der Straße rufen „wir wollen die Todesstrafe“, dann muss es da ja gravierende Schwierigkeiten geben. Die Rolle der Medien dabei haben die Deutschen nach meiner Einschätzung noch gar nicht richtig wahrgenommen. Eine durchschnittliche türkische Familie verbringt täglich vier Stunden vor dem Fernseher. Sie sehen dort Erdogan und nichts sonst. In meiner Jugend habe ich Radio Köln gehört, um an andere Informationen zu kommen. Radio könnte eine wesentlich Rolle spielen, denken Sie an all die türkischen Taxifahrer in Berlin.
Wird Ihr Online-Portal „Özgürüz“ von den Türken in Deutschland wahrgenommen? Haben Sie als einzelne Stimme eine Chance gegen die mehrheitlich Erdogan-treuen türkischen Medien?
Dündar: Wir bekommen natürlich nur wenige Rückmeldungen, weil es gefährlich ist, uns zu unterstützen. In der Türkei ist unsere Seite noch vor dem Start blockiert worden. In den vergangenen Monaten hat es eine Vielzahl von neuen Online-Medien gegeben, die die türkische Community in Deutschland verwirren. Es ist hart, sich gegen die starke Propaganda-Maschine durchzusetzen. Wir bräuchten mehr Zeit, aber die haben wir nicht.
CDU und SPD streiten gerade über ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer. Die SPD sieht es als wichtigen Baustein zur Integration an, die CDU als ein Privileg, das am Ende einer gelungenen Integration stehen sollte. Was denken Sie?
Dündar: Ich unterstütze das Recht der Menschen, über ihre Zukunft zu entscheiden. Sie sollten das Recht haben, zu wählen, ihren Anführern zuzuhören und sich frei zu äußern. Denn das hier ist Deutschland, nicht die Türkei. Deutschland sollte das Recht der Redefreiheit anerkennen, sogar für Erdogan. Das ist der Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Autokratie. Als Gegner Erdogans unterstütze ich sein Recht auf Redefreiheit überall auf der Welt, weil ich nicht wie er bin. Und das Schlimmste, das Sie tun können, ist zu sein wie er.