Regierungsbildung in Ägypten stockt: Religiöse gegen ElBaradei

Kairo (dpa) - Schwieriger Neuanfang nach dem Umsturz in Ägypten: Die Bildung einer Übergangsregierung scheitert im ersten Anlauf, während Dutzende Menschen bei Ausschreitungen ums Leben kommen. Religiöse Kräfte blockieren die Ernennung des Friedensnobelpreisträgers Mohammed ElBaradei zum Ministerpräsidenten.

Bei Massenprotesten gegen die Absetzung des islamistischen Präsidenten Mohammed kamen nach Angaben des staatlichen Ambulanzdienstes in Kairo mindestens 36 Menschen ums Leben, davon 16 durch Schüsse. Mehr als 1100 weitere erlitten Verletzungen.

Auch am Sonntagabend gingen Anhänger wie auch Gegner des gestürzten Präsidenten Mursi auf die Straßen. Die Kundgebungen blieben zum Auftakt ruhig.

Der international angesehene Poltiker ElBaradei sorgte am Wochenende für große Verwirrung. Kairoer Medien hatten seine Ernennung zum Chef der Übergangsregierung am Samstagabend als Fakt vermeldet. Ein Sprecher von Übergangspräsident Adli Mansur dementierte jedoch Stunden später die Berichte. Die Verhandlungen über die Bildung der Übergangsregierung gingen am Sonntag weiter. Sie soll bis zu Neuwahlen in Ägypten im Amt bleiben.

Widerstände gegen den Ex-Diplomaten ElBaradei, den Führer der säkularen Nationalen Rettungsfront, kamen aus den Reihen der salafistischen Nur-Partei (Partei des Lichts). „Es geht nicht an, die Macht des Ministerpräsidenten in die Hände eines Mannes zu legen, der nicht unsere Vision von der islamischen Scharia (Religionsgesetz) teilt“, erklärte der Al-Nur-Vizevorsitzende Bassem al-Saraka am Sonntag im TV-Sender Al-Hajat.

Die ultra-konservative Nur-Partei war früher mit der Muslimbruderschaft verbündet, aus der Mursi stammt. Zuletzt schloss sie sich aber der Oppositionsallianz gegen den am Mittwoch vom Militär abgesetzten Präsidenten an.

ElBaradei warnte nach dem Umsturz vor einer Hexenjagd in Ägypten. „Niemand darf ohne triftigen Grund vor Gericht gestellt werden“, forderte er in einem „Spiegel“-Interview. Mursi müsse mit Würde behandelt werden. „Das sind die Voraussetzungen für eine nationale Versöhnung.“ Nach Einschätzung ElBaradeis muss auch die islamistische Muslimbruderschaft Teil dieses Versöhnungsprozesses sein. „Die Muslimbrüder sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft.“

Die Islamisten finden sich jedoch nur schwer mit ihrer Entthronung ab. Die Auseinandersetzung zwischen ihnen und den neuen Machthabern war am Freitag eskaliert. Der von den Religiösen ausgerufene „Freitag der Ablehnung“ gipfelte in landesweiten Massendemonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern. In der Nähe des zentralen Tahrir-Platzes in Kairo prallten in den Abendstunden Anhänger und Gegner Mursis aufeinander, um sich heftige Straßenschlachten zu liefern. Zu Zusammenstößen kam es auch in Alexandria, Suez und in Al-Arisch auf dem Sinai. Bei neuen Ausschreitungen in der Nacht zum Sonntag wurde rund ein Dutzend Menschen verletzt.

Im Norden des Sinai entglitt den Behörden die Kontrolle: Hunderte Islamisten stürmten in der Nacht zum Samstag den Sitz des Gouverneurs in Al-Arisch. Extremisten sprengten am Sonntag eine Pipeline, die über den Sinai Gas nach Jordanien transportiert. Es war der erste Anschlag auf das Leitungsnetz, das Jordanien und Israel mit Gas versorgt, seit einem Jahr. Am Samstag erschossen Extremisten in Al-Arisch einen koptisch-orthodoxen Priester.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) will die weitere Unterstützung für Ägypten von demokratischen Fortschritten abhängig machen. Die bisherigen Errungenschaften der Revolution wie Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht und Schutz vor staatlicher Willkür dürften jetzt nicht preisgegeben werden, sagte Westerwelle am Sonntag in Berlin. „Das ist für uns der Maßstab, an dem wir die neue Staatsführung in Kairo messen.“