Nach Asylkompromiss Seehofer droht wieder mit Zurückweisungen
Berlin (dpa) - Bundesinnenminister Horst Seehofer droht erneut mit der Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenze, falls Absprachen mit anderen EU-Staaten zur Rücknahme scheitern sollten.
„Dann müssten wir darauf zurückgreifen, direkt an der Grenze abzuweisen“, sagte der CSU-Chef dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Es wäre keine gute Strategie, darauf zu setzen, dass es keine bilateralen Vereinbarungen gibt.“
Seehofer soll sich in den kommenden Wochen um bilaterale Vereinbarungen mit den europäischen Einreise- und Transitländern von Flüchtlingen bemühen. Es geht um die Rücknahme von Asylbewerbern, die in anderen EU-Staaten bereits einen Asylantrag gestellt haben. Aus Sicht des Ministers liegt die Verantwortung dafür in letzter Instanz allerdings bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Ob die Absprachen gelingen, blieb auch am Freitag fraglich. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz betonte, er vertraue auf die Zusicherung Seehofers, dass Deutschland keine Flüchtlinge an Österreich zurückweisen werde, für die sein Land nicht zuständig sei. „Darüber hinaus gilt festzuhalten, dass wir ohnehin nicht bereit gewesen wären, Verträge zulasten unseres Landes abzuschließen.“
Union und SPD hatten sich am Donnerstagabend auf einen Kompromiss in dem wochenlangen Streit um die Asylpolitik geeinigt. In dem beschlossenen Papier ist weiter die Rede davon, dass Deutschland Asylbewerber, für die andere EU-Staaten zuständig sind, an Österreich auf Basis einer bilateralen Vereinbarung zurückweisen werde. Auf die Frage, ob Seehofer immer noch ein Abkommen mit Österreich anstrebe, antwortete die Sprecherin des Bundesinnenministeriums, Eleonore Petermann, es gehe jetzt erst einmal darum, Vereinbarungen mit Italien und Griechenland zu treffen. Nur wenn diese nicht zustande kommen sollten, werde man „noch einmal gemeinsam überlegen“.
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner bezweifelte im ZDF, dass der vereinbarte Kompromiss umgesetzt wird. Grund: Die dazu nötigen Abkommen mit Italien und Österreich kommen seiner Einschätzung nach nicht zustande. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb mit Blick auf Seehofers jüngste Äußerungen auf Twitter: „Kleiner Tipp: Wenn du im Loch sitzt, hör auf zu buddeln.“
Die Koalitionspartner hatten sich am Donnerstagabend geeinigt, dass Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, an der deutsch-österreichischen Grenze zurückgewiesen werden - auf der Grundlage von noch auszuhandelnden Vereinbarungen mit Ersteinreiseländern und mit Österreich. Die Betroffenen sollen dazu in grenznahen Einrichtungen der Bundespolizei untergebracht werden. Seehofer sprach von „Transferzentren“.
Hinter den deutschen Grenzen soll es eine verstärkte Schleierfahndung geben; bei den dort aufgegriffenen Flüchtlingen soll in den geplanten Ankerzentren in beschleunigten Prüfverfahren festgestellt werden, ob ein anderer EU-Staat für ihr Asylverfahren zuständig ist.
Die CSU ermahnte ihre Koalitionspartner, die gemeinsamen Beschlüsse zur Asylpolitik nicht infrage zu stellen. „Ich erwarte, dass die Regierungsparteien diese Beschlüsse des gestrigen Koalitionsausschusses voll unterstützen und die Bereitschaft zeigen, geltendes Recht zur Anwendung zu bringen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Mit den Zurückweisungen und den beschleunigten Verfahren für Dublin-Fälle sorgen wir dafür, dass Migranten dort ihr Asylverfahren durchlaufen, wo es die europäischen Regeln vorsehen - nicht dort, wo es die höchsten Sozialleistungen gibt.“
Nach Ansicht der Vize-Chefin der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl, setzten sich die Sozialdemokraten beim Asylkompromiss der Bundesregierung auf ganzer Linie durch. „Von den ursprünglichen Plänen Seehofers ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben“, sagte sie hr-INFO. Der Kompromiss orientiere sich an SPD-Vorstellungen. Auch andere Sozialdemokraten sehen Seehofer auf ganzer Linie gescheitert. „Der greise bayerische Löwe brüllte ein letztes Mal und verkroch sich dann in seiner Höhle“, sagte der Sprecher der Parteilinken, Matthias Miersch, der Deutschen Presse-Agentur.
Unionspolitiker begrüßten, dass sich die SPD hinter die Übereinkunft von CDU und CSU gestellt hätten. Mit dem neuen Transitverfahren an der Grenze zu Österreich werde erstmals die „unbefugte Weiterwanderung von Asylbewerbern“ unterbunden, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU) der dpa. Auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Stephan Harbarth, gab sich zuversichtlich, dass mit den vereinbarten Instrumenten die illegale EU-Binnenmigration weiter eingeschränkt und die Zahl der in Deutschland Asylsuchenden zusätzlich reduziert werden könne.
Scharfe Kritik kam aus der Opposition. „Das ist die Fiktion einer Asylpolitik. Hier ist wenig bis gar nichts gelöst, aber viel Schaden angerichtet“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). „Dieser Pakt zulasten Dritter hat das Zeug, einen Dominoeffekt auszulösen und Europa zu sprengen.“
Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Georg Pazderski nannte das „ausbaldowerte x-te Asylpaket“ der großen Koalition eine „reine Luftnummer, um die bayerischen Wähler und den deutschen Steuerzahler in Sicherheit zu wiegen und den falschen Eindruck zu erwecken, man habe die Migrantenströme jetzt aber nun wirklich im Griff“. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, nannte es „beschämend für die CDU, dass sie sich von ihrer nach ganz rechts abdriftenden Schwesterpartei hat erpressen lassen“.
Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, nannte die Ergebnisse „eine Blamage“ für Seehofer und die gesamte große Koalition. „Mit den Transferzentren hat die CSU eine Bauchlandung hingelegt - wirkungslos statt wirkungsgleich. Im Ergebnis wird die Zuwanderung als solche kaum messbar gesteuert und geordnet werden. Auch die angekündigte Beschleunigung der Asylverfahren bleibt leider eine bloße Absichtsbekundung.“
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki orakelte in der „Welt“ (Freitag) auf die Frage, wie lange Seehofer noch Innenminister bleibe: „Gut möglich, dass Seehofer und Merkel am Ende gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten.“