Minister ausgewechselt „Sex-Geheimliste“ im britischen Parlament?

London (dpa) - Nach dem Rücktritt des britischen Verteidigungsministers Michael Fallon wegen sexueller Belästigung droht sich der Skandal im Parlament auszuweiten. Premierministerin Theresa May ernannte den in Verteidigungsfragen wenig erfahrenen Gavin Williamson zum Nachfolger.

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Wie kürzlich bekannt wurde, hatte Fallon vor 15 Jahren bei einem Dinner einer Journalistin wiederholt ans Knie gefasst. Am Mittwochabend zog er die Konsequenzen aus der Veröffentlichung. Auch weiteren Parlamentariern, darunter Mays Stellvertreter Damian Green, werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen.

Mit Fallon verliert May einen langen Wegbegleiter und Unterstützer. Nach Angaben britischer Medien konnte er May nicht garantieren, dass keine weiteren Vorwürfe bekannt werden. Vor drei Jahren soll er eine andere Journalistin in einer Bar als „Schlampe“ bezeichnet haben. BBC-Berichten zufolge fällt der 65-Jährige unter Alkoholeinfluss hin und wieder aus der Rolle.

Der Fall könnte nur die Spitze eines Eisberges sein. Denn in der konservativen Fraktion des Unterhauses zirkuliert laut britischen Medien eine Liste mit etwa 40 Abgeordneten, denen „unangemessenes Verhalten“ vorgeworfen wird. Dazu soll auch Mays Kabinettschef Green (61) gehören. Er soll einer Journalistin während eines Pub-Besuchs ans Knie gefasst und ihr später eine anzügliche Nachricht geschickt haben. Green streitet das vehement ab. Mehrere britische Medien gaben an, dass ihnen die Liste vorliege.

Fallon war seit 2014 Verteidigungsminister und von 2010 bis 2012 stellvertretender Vorsitzender der Konservativen. Sein Nachfolger Williamson war persönlicher Assistent des zurückgetretenen Premierministers David Cameron. Zuletzt hatte er den einflussreichen Posten des „Chief Whip“, des Chef-Einpeitschers, der bei wichtigen Abstimmungen für Disziplin in der Tory-Fraktion sorgt. Angeblich nutzen die „Whips“ (Peitschen) dafür auch Informationen über Verfehlungen von Abgeordneten.

Die von Fallon begrapschte Journalistin fiel nach dessen Rücktritt aus allen Wolken. „Das ist ja wohl der absurdeste Rücktritt eines Ministers“, sagte Julia Hartley-Brewer dem Nachrichtensender Sky News. Es müsse noch etwas anderes dahinter stecken. Für sie war der Fall längst abgehakt. Nachdem Fallon ihr Knie 2002 berührt hatte, habe sie ihm Schläge angedroht. Dann habe er sie in Ruhe gelassen.

Er sei „in der Vergangenheit hinter den hohen Ansprüchen zurückgeblieben, die wir an die Streitkräfte stellen“, begründete Fallon seinen Rückzug aus dem Kabinett in einem Schreiben an May. Seinen Parlamentssitz wolle er behalten. Viele der veröffentlichten Vorwürfe seien falsch, betonte der konservative Politiker - aber ohne Details zu nennen.

In einem BBC-Interview sagte Fallon: „Die Kultur hat sich über die Jahre geändert. Was vor 15 oder 10 Jahren wohl noch akzeptiert wurde, ist ganz klar heute nicht mehr akzeptabel.“ Fallon hatte sich bei Hartley-Brewer für sein Verhalten entschuldigt.

Fast täglich tauchen in den britischen Medien neue Vorwürfe gegen Politiker auf. So soll ein Staatssekretär seine Assistentin zum Kauf von zwei Vibratoren in einen Sex-Shop geschickt haben. In der oppositionellen Labour-Partei gibt es sogar einen Vergewaltigungsvorwurf, dem jetzt nachgegangen wird.

Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnete Fallons Rücktritt als „erstaunlich“. Die Vorsitzende der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, hatte zuvor ein konsequentes Handeln gegen Sexismus im Parlament eingefordert. Ausgelöst wurde die Debatte über sexuelle Übergriffe in Großbritannien vom Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein in den USA. Dutzende Frauen in den USA und anderen Ländern werfen ihm Belästigungen und Missbrauch vor.

May lobte ihren bisherigen Verteidigungsminister und Vertrauten noch am Mittwochabend öffentlich in einem Schreiben: In seiner Amtszeit habe Fallon dazu beigetragen, dass die britischen Streitkräfte im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) erfolgreich gewesen seien und mehr als drei Millionen Menschen aus den Fängen der islamistischen Fundamentalisten hätten befreit werden können.