Zurückgetreten Sexismus-Vorwürfe: Schottischer Staatssekretär gibt Amt auf
London (dpa) - Der Skandal um sexuelle Übergriffe britischer Politiker nimmt immer größere Dimensionen an. Vor allem Kabinettschef Damian Green gerät zunehmend unter Druck. Aufgrund einer in London kursierenden Liste mit Verfehlungen von Parlamentariern sind weitere Rücktritte möglich.
An diesem Montag berät Premierministerin Theresa May mit den Vorsitzenden der anderen Parteien über Konsequenzen.
Es werde jetzt auch dem Vorwurf nachgegangen, dass sich auf Greens Computer im Parlament pornografisches Material befunden haben soll, sagte Innenministerin Amber Rudd am Sonntag dem britischen Sender BBC. Bereits zuvor war Mays Stellvertreter von einer Journalistin beschuldigt worden, ihr während eines Pub-Besuchs ans Knie gefasst und später eine anzügliche Nachricht geschickt zu haben. Der 61-Jährige streitet alle Vorwürfe ab. Es handele sich um eine politische Hetzkampagne, schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter.
Die Zeitung „The Sunday Times“ hatte unter Berufung auf einen ehemaligen Scotland-Yard-Mitarbeiter berichtet, dass das pornografische Material 2008 auf dem Computer entdeckt worden war. Der Konservative konterte, dass der Ex-Polizist schon zuvor versucht habe, ihn in Verruf zu bringen. Die Behauptungen seien alle unwahr.
Green gehört zu den etwa 40 Abgeordneten, die auf einer in der konservativen Fraktion kursierenden Liste mit Verfehlungen stehen. Einige Anschuldigungen gegen die Politiker haben sich jedoch schon als falsch oder harmlos herausgestellt. Ein Rücktritt Greens wäre ein herber Rückschlag für die ohnehin politisch angeschlagene Premierministerin. In der vergangenen Woche war bereits ihr Verteidigungsminister und Unterstützer Michael Fallon zurückgetreten.
Über Fallon hatte es mehrere Beschwerden gegeben. Ein Vorfall aus dem Jahr 2003 soll letztlich zu seinem Rücktritt geführt haben, wie jetzt bekannt wurde. Eine Journalistin schilderte in der Zeitung „The Observer“, wie der Konservative sich damals nach einem Mittagessen auf sie stürzte und küssen wollte. Sie sei weggerannt. Erst im Zuge des Skandals habe sie den Vorfall der Regierung gemeldet. Andere Frauen berichteten von Knie-Tätscheleien und anzüglichen Bemerkungen.
Der Skandal um sexuelle Belästigungen erreichte unterdessen auch das Parlament in Edinburgh. Schottlands Staatssekretär für Kinderbetreuung, Mark McDonald, nahm am Samstagabend seinen Hut. „Ich entschuldige mich uneingeschränkt bei jedem, den ich verärgert habe oder der mein Verhalten als unangemessen empfunden hat“, teilte der Politiker der Schottischen Nationalpartei (SNP) mit. Hinter lustig oder freundlich gemeinten Handlungen hätten manche womöglich andere Absichten vermutet. Details für seinen Rücktritt nannte er nicht.
Die britischen Konservativen hatten zuvor ihren Abgeordneten für Dover, Charlie Elphicke, wegen „schwerer Vorwürfe“ vorläufig aus ihrer Partei ausgeschlossen. Der Fall beschäftigt sogar die Polizei. Elphike twitterte Freitagabend: „Ich weiß nicht, was die angeblichen Vorwürfe beinhalten und streite jegliches Fehlverhalten ab.“
Der Skandal kommt für May zu einem besonders schlechten Zeitpunkt. Seit der schiefgelaufenen Neuwahl im vergangenen Juni muss sie um ihren Posten als Regierungschefin bangen. Sie führt nun eine Minderheitsregierung an und ist auf die Hilfe der erzkonservativen nordirischen DUP (Democratic Unionist Party) angewiesen. Ihre konservative Partei ist sich zudem in Brexit-Fragen uneins. Die Verhandlungen zum EU-Austritt, die am kommenden Donnerstag und Freitag fortgesetzt werden, verlaufen schleppend.
Der Parlamentarier Roger Gale warnte in einem BBC-Interview vor vorschnellen Verurteilungen und einer „Hexenjagd“. Anschuldigungen dürften nicht als Fakt dargestellt werden, kritisierte der Konservative, der seit mehr als 30 Jahren im Unterhaus sitzt. „Das ist keine Hexenjagd, sondern das ist lange überfällig“, kritisierte Harriet Harman, Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei.
May stellte schon am Freitagabend einen überarbeiteten Verhaltenskodex für konservative Politiker vor. Unter anderem soll eine Beschwerde-Hotline Opfern eine Anlaufstelle bieten.
Auch in der Labour-Partei soll es Übergriffe gegeben haben, darunter sogar eine Vergewaltigung. Ausgelöst wurden die Veröffentlichungen durch den Skandal um Hollywood-Mogul Harvey Weinstein in den USA. Ihm werfen Dutzende Frauen, auch in Großbritannien, Übergriffe vor.
Selbst auf der „Bonfire Night“ am Samstagabend in Großbritannien spielte der Skandal eine Rolle. Jedes Jahr wird Anfang November auf dem landesweiten Fest mit Feuerwerken und Fackelzügen die Verhaftung des Katholiken Guy Fawkes gefeiert, der 1605 das Parlament samt König in die Luft sprengen wollte. Bei dem Fest werden Bildnisse des Verschwörers angezündet. Am Samstagabend steckten die Briten auch eine riesige Puppe zum Sex-Skandal in Brand: Sie zeigte Weinstein.