Sinn-Fein-Chef festgenommen
Belfast (dpa) - Die nordirische Polizei hat den Vorsitzenden der pro-irischen Partei Sinn Fein, Gerry Adams, im Zusammenhang mit dem Mord an einer zehnfachen Mutter vor mehr als 40 Jahren festgenommen.
Der 65-Jährige gehörte zum Führungskreis der ehemaligen bewaffneten Untergrundorganisation IRA.
Später gestaltete er maßgeblich den Friedensprozesses in Nordirland mit. Er sitzt heute im irischen Parlament. Mindestens zwei ehemalige IRA-Mitglieder haben Adams in dem Fall belastet - er soll den Mord in Auftrag gegeben haben. Adams wird seit Mittwochabend verhört.
Adams Partei reagierte am Donnerstag empört. Die Vizevorsitzende Mary Lou McDonald sprach von einer politisch movierten Festnahme, um Adams und der Sinn Fein zu schaden. Martin McGuinness, ebenfalls Sinn-Fein-Mitglied und stellvertretender Regierungschef Nordirlands, kritisierte, man könne Adams auch ohne Festnahme zu dem Fall befragen. „Da kommen ernsthafte Fragen dazu auf, was der Fall ist und der Hintergedanke.“ McGuinness hatte früher ebenfalls zum IRA-Führungskreis gehört.
Großbritannines Premierminister David Cameron hielt dagegen, es gebe keinerlei politische Einmischung, das Justizsystem in England und Nordirland sei unabhängig. Irlands Premierminister Enda Kenny wies die Kritik ebenfalls zurück. „Es geht hier immer noch um einen Mordfall, um laufende Ermittlungen“, sagte er.
Im konkreten Fall wird der Politiker zu dem Mordfall aus dem Jahr 1972 verhört. Die Witwe war vor den Augen ihrer Kinder von zwölf Männern und Frauen entführt worden. Die Irisch Republikanische Armee (IRA) - eine bewaffnete Gruppierung mit dem Ziel der Loslösung Nordirlands von Großbritannien - beschuldigte die Frau, Informationen an die englische Armee weitergegeben zu haben. IRA-Mitglieder erschossen sie und vergruben ihre Leiche.
Adams gehörte damals zum Führungskreis der IRA. In einer Erklärung nach seiner Festnahme gab der Politiker an, er habe nichts mit dem Mord zu tun. Adams nannte den Mord und das Verschwindenlassen der Leiche der Frau falsch und eine „schmerzliche Ungerechtigkeit gegenüber ihr und ihrer Familie“. Nach eigenen Angaben stellte Adams sich freiwillig, er hatte zuvor bereits Kooperation angeboten.
Das Opfer hatte jahrzehntelang auf einer Liste von „Verschwundenen“ gestanden. 1999 gab die IRA zu, 9 von 16 Personen auf der Liste ermordet und ihre Leichen versteckt zu haben. 2003 tauchten nach einem Sturm die sterblichen Überreste der Frau an einem Strand auf.
Einer der Söhne des Opfers, der die Entführung mit ansehen musste, sage dem BBC-Radio, er kenne die Namen der Täter von damals, werde sie aber nicht verraten: „Wenn ich der Polizei jetzt auch nur eine kleine Sache sagen würde, dann würden diese Leute mich oder ein Familienmitglied oder eines meiner Kinder erschießen.“
Die Ermittlungen in dem Mordfall hatten zuletzt Fortschritte gemacht, nachdem eine Universität in Boston den britischen Behörden Interviews mit früheren Kämpfern zur Verfügung gestellt hatte.
Die Dokumente sollten erst nach dem Tod der Befragten veröffentlicht werden, aber ein US-Gericht zwang die Hochschule im vergangenen Jahr, Aussagen zu dem Fall herauszugeben. In den Interviews hatten mindestens zwei ehemalige IRA-Rebellen angegeben, Adams habe den Mord an der angeblichen Verräterin in Auftrag gegeben.
Im März war bereits ein 77 Jahre alter ehemaliger IRA-Kämpfer wegen Anstiftung und Beihilfe zu dem Mord an der damals 37-Jährigen angeklagt worden. Fünf weitere Personen wurden vorübergehend festgehalten und befragt.
Ebenfalls am Mittwoch war ein 69-Jähriger im Zusammenhang mit einem Attentat in Belfast im Jahr 1971 festgenommen worden, bei dem 15 Menschen gestorben waren. Der Anschlag ging auf das Konto der protestantisch-unionistischen Organisation Ulster Volunteer Force (UVF), wurde aber zunächst irrtümlich der IRA zugeschrieben. Der Mann kam aber noch in der Nacht wieder frei, wie die Polizei mitteilte.