Skepsis gegenüber Athener Reformpaket
Brüssel (dpa) - Das jüngste Spar- und Reformpaket Griechenlands stößt bei Finanzminister Wolfgang Schäuble und vielen seiner Euro-Kollegen auf Skepsis. Ob es neue finanzielle Unterstützung für Athen in Höhe von rund 74 Milliarden Euro geben kann, ist offen.
„Auf dem Papier sind die Vorschläge nicht gut genug“, sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem vor einer Krisensitzung in Brüssel. Schäuble verlangt einem Zeitungsbericht zufolge in einem Positionspapier entweder rasche Nachbesserungen oder eine mindestens fünfjährige „Auszeit“ Griechenlands aus der Eurozone.
Die Pläne von Schäuble für eine mögliche fünfjährige Auszeit Griechenlands aus der Eurozone sind mit Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel abgestimmt. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Abend in Brüssel.
Die Euro-Finanzminister berieten über neue Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM für das akut von der Staatspleite bedrohte Griechenland. Das Treffen verlaufe sehr kontrovers, berichteten Diplomaten am Abend. Skeptisch träten mehr als zehn Eurostaaten auf, darunter Deutschland. Unterstützung für Athen komme vor allem aus Frankreich und einigen anderen Ländern. In der Eurogruppe sind 19 Länder vertreten. Offen sei noch, ob es eine Empfehlung gebe, Verhandlungen für ein Hilfsprogramm mit einem Umfang von rund 74 Milliarden Euro zu beginnen. Dieses Programm hatte die griechische Regierung beantragt.
Die „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“) zitierte aus einem ihr vorliegenden Papier Schäubles für die anderen Minister. Die Vorschläge Athens könnten „nicht die Grundlage für ein komplett neues, auf drei Jahre angelegtes ESM-Programm bilden“, heiße es dort. Es fehlten „zentral wichtige Reformbereiche, um das Land zu modernisieren und um über lange Sicht Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung voranzubringen“.
Stattdessen blieben nach Ansicht Schäubles zwei Wege. So solle Griechenland seine Vorschläge entweder rasch und umfassend mit voller Unterstützung des Parlaments verbessern. Griechenland solle Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Euro an einen Treuhandfonds übertragen, der sie verkaufe und damit Schulden abtrage. Als zweiter Weg würden Verhandlungen mit Athen über eine „Auszeit“ genannt. Das Land solle nach dieser Variante die Eurozone für mindestens fünf Jahre verlassen und seine Schulden restrukturieren. Es bleibe EU-Mitglied und erhalte weiter „wachstumsstärkende, humanitäre und technische Unterstützung“. Das Bundesfinanzministerium wollte sich zu dem Bericht nicht äußern.
Der slowakische Finanzminister Peter Kazimir sagte vor dem Treffen zu den griechischen Vorschlägen: „Das reicht nicht für ein drittes Hilfsprogramm.“ Der maltesische Minister Edward Scicluna beschrieb die Stimmung unter den Euro-Ländern mit den Worten: „Es gibt einige, die sehr skeptisch sind, und einige, die es weniger sind.“ Vielen Staaten fehlt nach Worten von Eurogruppenchef Dijsselbloem das Vertrauen, dass die Regierung des griechischen Premiers Alexis Tsipras die versprochenen Reformen wirklich umsetzen wird. Man frage sich, „ob der griechischen Regierung vertraut werden (kann), dass sie das tun, was sie versprechen“, sagte er.
Das griechische Parlament hatte Tsipras in einer Nachtsitzung ein Mandat für Verhandlungen über seine Reformpläne erteilt. Sollten die Finanzminister diesen Maßnahmen zustimmen, könnten sie den Weg frei machen für Verhandlungen über ein neues Hilfspaket. Lehnen sie ab, wäre ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum („Grexit“) nicht ausgeschlossen.
Griechenland brauche in den nächsten drei Jahren etwa 82 Milliarden Euro, hieß es aus Brüsseler Kreisen. „Wir haben es jetzt mit Finanzierungslücken zu tun, die jenseits all dessen sind, mit dem wir uns in der Vergangenheit beschäftigt haben“, sagte Schäuble. Griechenland hat in den vergangenen fünf Jahren internationale Hilfe von insgesamt 240 Milliarden Euro erhalten.
Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling verlangte: „Es muss eine Garantie geben, dass eine unmittelbare Umsetzung der Maßnahmen erfolgt.“ Das griechische Parlament müsse beschließen, dass die Spar- und Reformschritte in einem Gesetzesentwurf akzeptiert werden. Auch bei den Privatisierungen sei eine Garantie nötig.
Die Geldgeber hatten die Vorschläge Athens zunächst als „eine Basis für ein neues ESM-Programm“ bewertet, wie EU-Währungskommissar Pierre Moscovici sagte. Die Geldgeber-Institutionen bestehen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). EU-Vizekommissionschef Valdis Dombrovskis sagte: „Wir sehen, dass es den Willen von griechischer Seite gibt, eine Einigung zu erreichen.“
Das nach monatelanger Hängepartie vorgelegte Spar- und Reformpaket umfasst auch eine Mehrwertsteuerreform. Bis 2022 soll das Rentenalter auf 67 Jahre steigen.
Am Sonntag kommen die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedstaaten zu einem Sondergipfel zusammen.