Corona-Krise Spaniens Polizei macht Jagd auf Jogger und Spaziergänger
Madrid · Das strikte Ausgehverbot sorgt für wachsenden Unmut. Die Bevölkerung kann sich derzeit auch wenig Hoffnung auf schnelle Besserung machen.
Viele Spanier fühlen sich derzeit wie ein Tiger im Käfig. In Madrid sieht man Menschen, die auf Balkonen immer wieder von einer Seite zur anderen laufen. Andere drehen Runden im Wohnzimmer oder gehen im Flur auf und ab. Verhaltensauffälligkeiten, wie man sie bisher eher von eingesperrten Zootieren kennt. Offenbar schlägt das eiserne Ausgehverbot, das nun schon seit mehr als fünf Wochen gilt, immer mehr Spaniern auf die Seele.
Die Bevölkerung kann sich derzeit auch wenig Hoffnung auf schnelle Besserung machen. Regierungschef Pedro Sánchez verkündete an diesem Wochenende, dass die nationale Quarantäne noch mindestens bis 9. Mai, also drei weitere Wochen, in Kraft bleiben wird. Auch danach werde es, sagte Sánchez, nur eine schrittweise Lockerung geben – aber nur wenn sich die Epidemie weiter abschwäche und es keinen Rückfall gebe.
Fast 200 000 Infizierte und
mehr als 20 000 Todesopfer
Die Zahl der Corona-Infektionen und Todesfälle stieg am Wochenende in Spanien weiter, wenn auch langsamer. Am Sonntag meldeten die Behörden 195 944 Infizierte – ein Zuwachs um 2695 Fälle oder zwei Prozent. Insgesamt wurden bisher 20 453 Todesopfer registriert.
Spanien, das in Europa am schlimmsten von der Covid-19-Pandemie betroffen ist, hat derzeit die härtesten Ausgangsbeschränkungen des Kontinents. Und zwar ohne die Möglichkeit, für einen Spaziergang oder zum Sport vor die Tür zu dürfen. Nur zum Einkauf und zum Arztbesuch können die Menschen mal kurz raus. Oder für den Gang zur Arbeit, soweit es sich um einen Job in einer systemrelevanten Branche wie etwa dem Gesundheitssektor handelt.
Immerhin stellte Sánchez nun in Aussicht, dass Kinder bis zwölf Jahre vom 27. April an kurz vor der Haustür frische Luft schnappen dürfen. Vorausgegangen war ein Aufschrei von Eltern und Psychologen: „Warum dürfen Erwachsene mit einem Hund Gassi gehen, aber unsere Kinder dürfen nicht auf die Straße?“, fragte Ada Colau, Bürgermeisterin Barcelonas und Mutter von zwei Kindern.
Die nationale Quarantäne wird zwar laut Umfragen noch von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Sie provoziert aber zugleich immer mehr Konflikte. Bei der Notfallnummer für misshandelte Frauen ging in den letzten fünf Wochen ein Drittel mehr Anrufe ein, als dies im selben Zeitraum des Vorjahres der Fall war. Auch Beratungsstellen für drangsalierte Kinder verzeichnen einen Anstieg von Hilferufen.
Zur Angst vor dem Virus fügt sich inzwischen die Angst um den Job. Eine verheerende Wirtschaftskrise drohe, stimmte Premier Sánchez die Menschen auf eine schwierige Zukunft ein: „Wenn wir wieder auf die Straße dürfen, werden wir mit den Zerstörungen eines Krieges konfrontiert sein.“ Der Weltwährungsfonds (IWF) sagt Spanien eine tiefe Rezession und einen massiven Schuldenanstieg voraus.
Die wachsenden Sorgen scheinen Gift für das soziale Klima zu sein: Nach der Welle der Solidarität für Ärzte und Krankenschwestern in den ersten Wochen tauchen nun immer wieder Hassbotschaften gegen das medizinische Personal auf: „Infizierte Ratte“, sprühten Unbekannte auf das Auto einer Medizinerin in Barcelona. Andere Hospitalmitarbeiter bekamen Briefe, in denen sie aufgefordert wurden, aus ihren Wohnungen auszuziehen, um als Angehörige einer Risikogruppe nicht die Nachbarschaft anzustecken.
Auch das harte Vorgehen der Polizei sorgt für Unmut: Die Beamten machen gnadenlos Jagd auf Jogger, Spaziergänger und Familien, die sich auf der Straße die Füße vertreten wollen. Die „Quarantänebrecher“ bekommen hohe Geldstrafen von mindestens 600 Euro aufgebrummt – 650 000 Bußgelder wurden bereits verhängt. Menschenrechtsgruppen und Psychologen warnen davor, dass diese harte Linie die zunehmende Frustration der Bevölkerung weiter anheizen könnte.