Flüchtlinge SPD erwartet deutlich mehr Flüchtlinge
Berlin/Budapest (dpa) - In diesem Jahr könnten noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen als bisher erwartet. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagte in Berlin, die Prognose von 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr sei überholt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich an diesen Spekulationen nicht beteiligen. Sie forderte die EU-Staaten erneut auf, bei der Aufnahme der Asylbewerber mehr Solidarität zu zeigen.
Ungarn kündigte an, es werde seinen Zaun an der Grenze zu Serbien verstärken. Derweil nimmt die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute zu. Allein am Montag hätten mehr als 7000 Migranten die griechisch-mazedonische Grenze überquert und damit so viele wie nie zuvor an einem Tag, teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit.
NRW-Ministerpräsidentin Kraft sagte: „Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass es nicht bei 800 000 bleiben wird.“ Angesichts der anhaltend hohen Zahl von Neuankömmlingen sei das bereits beschlossene Maßnahmenpaket der Koalition für die Flüchtlingshilfe unzureichend. Die vom Bund angekündigte Drei-Milliarden-Hilfe für Länder und Kommunen ab 2016 reiche nicht aus. „Allein mein Land gibt 1,7 Milliarden für Flüchtlinge aus.“ Und: „2015 muss es auch noch einen Zuschlag geben.“
Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte zuvor erklärt, Deutschland sei durchaus in der Lage, auch in den nächsten Jahren in großem Stil Flüchtlinge aufzunehmen. „Ich glaube, dass wir mit einer Größenordnung von einer halben Million für einige Jahre sicherlich klarkämen“, sagte der SPD-Chef am Montagabend im ZDF. „Ich habe da keine Zweifel - vielleicht auch mehr.“
Die Suche nach einem weiteren Drehkreuz für die erste Versorgung der Flüchtlinge dauerte am Dienstag noch an. Bislang steigen die Neuankömmlinge größtenteils in München aus dem Zug.
Merkel sprach sich gemeinsam mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven für einen festen Verteilungsschlüssel für alle 28 EU-Mitglieder aus. Sie äußerte sich optimistisch, dass es trotz des Widerstands von Ländern wie Ungarn einen Kompromiss geben werde. Man solle sich jetzt nicht in Drohungen überbieten. „Keine öffentlichen Beschimpfungen, sondern Respekt vor der Position des anderen. Aber klar in der Sache“, sagte die Kanzlerin. Deutschland und Schweden nehmen aktuell die meisten Asylbewerber auf. In der Bundesrepublik werden in diesem Jahr nach bisherigen Schätzungen mindestens 800 000 Migranten erwartet, in Schweden mehr als 80 000.
Die Niederlande unterstützen eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Kurzfristig sei das Land selbst zur Aufnahme von weiteren Flüchtlingen bereit, teilte die Regierung in Den Haag mit. Das könne allerdings nur eine „Zwischenlösung“ sein, heißt es in dem Papier der Koalition von Rechtsliberalen und Sozialdemokraten. Langfristig müssten Flüchtlinge aber in sicheren Staaten in der Krisenregion untergebracht werden. Lettlands Regierungschefin Laimdota Straujuma räumte zwar ein, es sei realistisch, dass das baltische Land mehr als die bisher zugesagten 250 Flüchtlinge aufzunehmen habe. Fest Quoten lehnte sie aber ab.
Merkel legte sich nicht auf eine Prognose für die Zahl der Einwanderer in den nächsten Jahren fest. „Keiner von uns kann die Zukunft genau lesen“, sagte sie. Wenn Menschen in Not seien, „dann müssen wir diese Aufgabe lösen“. Mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu sprach sie am Telefon über die Flüchtlingskrise. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert waren sich die beiden Regierungschefs einig, dass die Bemühungen um eine politische Lösung des Syrien-Konflikts vordringlich seien.
Ungarns designierter Verteidigungsminister Istvan Simicsko sagte, die Regierung werde den Bau des Zauns, der die 175 Kilometer lange Grenze zu Serbien abriegeln und Flüchtlinge abhalten soll, schneller vorantreiben. Offiziell hatte Ungarn das Projekt am 31. August für abgeschlossen erklärt. Doch auf weiten Strecken war der Zaun wegen der von Regierungschef Viktor Orban angeordneten Eile provisorisch errichtet worden. Viele Flüchtlinge überwinden ihn, indem sie den Draht durchschneiden oder mit Holzlatten niederwalzen.
Bei der Flucht über das Mittelmeer haben seit Freitag 58 weitere Menschen ihr Leben verloren. Unter den Toten sei auch ein Kleinkind, berichtete die Internationale Organisation für Migration.