Syrien Angst vor neuer Gewalt in Syrien

Damaskus · Nach dem tödlichen Wochenende in Syrien leben die Menschen dort weiterhin in Angst. Die Übergangsregierung steht vor einer schweren Prüfung und versucht das Land zu einen.

Nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen haben sich in Syrien am Wochenende Hinrichtungsszenen abgespielt.

Foto: Uncredited/Syrian Civil Defense White Helmets/AP/dpa

Nach den jüngsten Gewaltausbrüchen fürchten sich Alawiten in Syrien vor neuer Gewalt. Gleichzeitig versucht die neue Führung in Damaskus, das Land nach den Jahren des Bürgerkrieges zu einen. Menschenrechtsorganisationen fordern die neuen Machthaber auf, alle Zivilisten gleichermaßen zu schützen. Nach ihrer Einschätzung haben sich am vergangenen Wochenende Hinrichtungsszenen in Teilen des Landes abgespielt.

Bewaffnete Anhänger der gestürzten Regierung hatten am Donnerstag laut der neuen Führung Sicherheitskräfte in Latakia angegriffen, worauf die Übergangsregierung mit einer Militäroperation reagierte. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen rund 1.500 Menschen getötet worden sein, ein Großteil davon Zivilisten. Besonders Alawiten waren den unabhängigen Beobachtern zufolge bei der Militäroperation ins Visier geraten. Die Übergangsregierung sah hinter dem heftigen Gewaltausbruch einen Versuch der Assad-Loyalisten, das Land in einen neuen Bürgerkrieg zu stürzen.

Anwohner: „Alle haben Angst“

Mittlerweile herrsche in den betroffenen Küstengebieten Ruhe, berichtete die Beobachtungsstelle. Dennoch trauten sich viele Bewohner, hauptsächlich Alawiten, noch immer nicht zurück an ihre Wohnorte. „Alle haben Angst“, sagte ein Bewohner der syrischen Küstenstadt Banjas der Deutschen Presse-Agentur. Viele Menschen hielten sich noch in umliegenden Bergregionen auf.

Rund 1.000 Menschen hätten in der russischen Luftwaffenbasis Hmeimim an Syriens Mittelmeerküste Zuflucht gesucht, sagte der Direktor der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle, Rami Abdel-Rahman, der dpa. Auch die „New York Times“ berichtete darüber unter Berufung auf Satellitenbilder. Hunderte Menschen hielten sich demnach auf dem Gelände der Basis und dem angrenzenden Flughafen Latakia auf.

UN: Gezielte Ermordung von ganzen Familien

Das UN-Menschenrechtsbüro sieht in vielen dokumentierten Tötungen vom Wochenende außergerichtliche Hinrichtungen, die aufgrund von konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt seien. Besonders erschütternd seien Berichte über die gezielte Ermordung ganzer Familien, darunter Frauen, Kinder und andere Personen, die nicht an Kämpfen beteiligt seien. Der UN-Bericht zitierte Augenzeugenberichte, wonach Angreifer in Häusern nachgefragt hätten, ob die Bewohner Alawiten oder Sunniten seien - je nach Antwort seien sie dann entweder getötet oder verschont worden. Überlebende schilderten, dass viele Männer vor den Augen ihrer Familien erschossen worden seien.

HRW: Zivilisten müssen geschützt werden

Ähnlich äußerte sich die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). „Syriens neue Führung hat versprochen, mit den Schrecken der Vergangenheit zu brechen, doch es gibt Berichte über massive Gräueltaten an überwiegend alawitischen Syrern“, erklärte Adam Coogle, stellvertretender HRW-Direktor für den Nahen Osten und Nordafrika. Die Regierung müsse „umgehend und entschieden handeln, um Zivilisten zu schützen und die Verantwortlichen für willkürliche Erschießungen, Hinrichtungen und andere schwere Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen“.

Außenministerin Annalena Baerbock verurteilte „die gezielte Tötung Hunderter Zivilisten“ als Verbrechen und forderte eine lückenlose Aufklärung. Frieden Sei nur möglich, wenn alle Bürger gleichberechtigt und in Sicherheit leben könnten, schrieb sie auf X. Der syrisch-katholische Erzbischof von Homs, Jacques Mourad, verurteilte die Übergriffe auf Alawiten als „schreckliches Verbrechen“ und machte die neue Regierung dafür verantwortlich.

Ein Untersuchungsausschuss der syrischen Behörden betonte, dass das Land entschlossen sei, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte zu schützen, unrechtmäßige Vergeltung zu verhindern und Straflosigkeit zu vermeiden.

Verhandlungen mit drusischer Gemeinschaft aus dem Süden

Die Führung treibt ihre Bemühungen voran, das Land zu vereinen. Langzeitmachthaber Baschar al-Assad war Anfang Dezember von Rebellen gestürzt worden. Während des Bürgerkriegs war das Land tief gespalten. Nachdem sich die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) am Montag bereits mit der Übergangsregierung auf eine vollständige Eingliederung in die staatlichen Institutionen geeinigt haben, soll nun nach ersten Berichten auch die drusische Gemeinschaft aus dem Süden folgen.

Präsident Ahmed al-Scharaa habe in Damaskus den Gouverneur von Suweida sowie Aktivisten und Bewohnern aus der südlichen Region getroffen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Syrischen Sicherheitskreisen und arabischen Medienberichten zufolge liegt ein vorläufiges Abkommen auf dem Tisch, das vorsieht, die Region in die staatlichen Institutionen einzugliedern.

Eine offizielle Erklärung oder Bestätigung blieb bisher aus. Berichten zufolge sollen hochrangige drusische Vertreter noch nicht zugestimmt haben. Sollte es zu einer Einigung kommen, würde die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet Syriens in der Verwaltung der Übergangsregierung liegen. Bereits das Abkommen zur Eingliederung der SDF markiert einen Wendepunkt. Der Nordosten stand bisher unter kurdischer Selbstverwaltung.

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(dpa)