Trauer und Streit bei Gedenken an Kaczynski-Absturz
Warschau/Moskau (dpa) - In tiefer Trauer und begleitet von neuem Streit hat Polen des tödlichen Flugzeugabsturzes von Präsident Lech Kaczynski vor einem Jahr in Russland gedacht.
Staatschef Bronislaw Komorowski, der an diesem Montag zum Unfallort nach Smolensk reist, und Regierungschef Donald Tusk stellten am Sonntag in Warschau Kerzen für die 96 Toten der Katastrophe auf. In einer demonstrativ getrennten Gedenkfeier legte Jaroslaw Kaczynski vor dem Präsidentenpalast Blumen für seinen toten Zwillingsbruder nieder. Der national-konservative Oppositionspolitiker lehnt die Aussöhnungspolitik der Tusk-Regierung gegenüber Moskau strikt ab.
An der Absturzstelle überschattete ein Streit um ein Mahnmal eine Gedenkfeier mit Polens Präsidentengattin Anna Komorowska. Die russischen Behörden hatten vor dem Eintreffen der Delegation eine Tafel entfernt, auf der das Massaker an rund 22 000 Polen durch den sowjetischen Geheimdienst 1940 in Katyn und anderen Orten erwähnt wird. Die Tafel sei unerlaubt aufgestellt worden, zudem fehle eine russische Übersetzung, begründeten die Behörden den Schritt. Warschau zeigte sich verärgert. Komorowska betete am Samstag mit mehr als 100 Angehörigen der Opfer bei Schneeregen an den Trümmern der Tupolew Tu-154M. Der Kreml entsandte einen Sonderbeauftragten zur Zeremonie.
„Das Schicksal lässt sich nicht ändern, die Zeit kann nicht zurückgedreht werden“, sagte Komorowska. Möglich sei aber gegenseitige Hilfe. Am Gedenkstein nahe der Absturzstelle wurden auch Kränze von Russlands Präsident Dmitri Medwedew, der sich an diesem Montag mit Komorowski in Smolensk trifft, sowie von Regierungschef Wladimir Putin niedergelegt. In der russischen Stadt St. Petersburg wurde am Sonntag ein Requiem zu Ehren der Opfer gespielt. Das Flugzeug war am 10. April 2010 beim Landeanflug im Nebel zerschellt.
Die Delegation mit Kaczynski, seiner Frau Maria und 94 ranghohen Vertretern aus Politik, Kirche und Militär war damals unterwegs nach Katyn, um der Opfer des Massenmords von 1940 zu gedenken. Über die Unfallursache war zwischen Russland und Polen ein heftiger Streit ausgebrochen. In einem von Warschau kritisierten russischen Untersuchungsbericht gibt Moskau Kaczynskis Piloten die Hauptschuld. Diese hätten trotz des schlechten Wetters in Smolenk nicht den empfohlenen Ausweichflughafen angesteuert, heißt es dort. Dagegen wirft Warschau den russischen Fluglotsen vor, die Piloten beim Landeanflug nicht genug unterstützt zu haben.
Das Treffen von Medwedew und Komorowski an diesem Montag gilt als weiterer Aussöhnungsschritt im historisch belasteten Verhältnis. Die gemeinsame Trauer über Kaczynskis Tod, aber auch die Übergabe bisheriger Katyn-Geheimdokumente von Russland an Polen hatte beide Länder nach langer Eiszeit einander wieder näher gebracht. In Katyn und anderen Orten waren über 20 000 polnische Soldaten und Zivilisten auf Befehl von Sowjetdiktator Josef Stalin hingerichtet worden. Erst 1990 hatte Präsident Michail Gorbatschow Moskaus Schuld eingeräumt.