Türkei schießt russischen Kampfjet ab
Moskau/Istanbul (dpa) - Der Abschuss eines russischen Militärjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet gerät zur schweren Belastung für den internationalen Kampf gegen islamistischen Terror. Der Zwischenfall mit mindestens einem getöteten Piloten löste heftige Spannungen zwischen Russland und der Türkei aus.
Während der Kreml die türkische Regierung als „Helfershelfer von Terroristen“ bezeichnete, sprachen die Nato-Staaten dem Bündnispartner Ankara ihre Solidarität aus. Gleichzeitig warnte die Militärallianz vor einer weiteren Zuspitzung der Lage.
Die Attacke der türkischen Luftstreitkräfte sei ein „Stoß in den Rücken“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag live im Staatsfernsehen. Der Führung in Ankara drohte er „ernsthafte Konsequenzen“ an. Über militärische Folgen habe Putin aber nicht gesprochen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Wegen des Zwischenfalls sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow einen für diesen Mittwoch geplanten Besuch in Istanbul ab. Das Außenministerium in Moskau bestellte zudem den türkischen Militärattaché ein. Zudem kündigte Russland an, die Militärkontakte mit Ankara vorerst einzustellen.
Für die Behauptung, der Kampfjet vom Typ Suchoi Su-24 habe den türkischen Luftraum verletzt, habe Ankara keine Beweise präsentiert, sagte Peskow. Generalstabssprecher Sergej Rudski sagte der Agentur Interfax zufolge, die beiden Piloten - von denen einer tot und das Schicksal des anderen noch offen sei - seien vor dem Abschuss nicht gewarnt worden.
Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der sich am Dienstagabend nach einer von der Türkei beantragten Sondersitzung des Nato-Rates in Brüssel äußerte, deuten Erkenntnisse mehrerer alliierter Staaten hingegen darauf hin, dass das abgeschossene Kampfflugzeug zuvor tatsächlich den türkischen Luftraum verletzt hat. Die türkischen Streitkräfte teilten mit, innerhalb von fünf Minuten seien zehn Warnungen ignoriert worden, bevor zwei F16-Kampfflugzeuge den fremden Jet am Morgen in der Grenzregion Hatay attackierten.
Für Russlands Streitkräfte ist es der erste offiziell bestätigte Verlust seit Beginn ihrer Intervention im syrischen Bürgerkrieg im September. Ein weiterer russischer Militär sei beim Angriff syrischer Rebellen auf einen russischen Hubschrauber ums Leben gekommen, sagte Rudski laut Interfax.
Die türkische Staatsführung unterstrich das Recht ihres Landes zur Verteidigung seiner Grenzen, die von Russland verletzt worden seien. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte, der Grenzschutz sei „sowohl unser internationales Recht als auch unsere nationale Pflicht“. Schon im Oktober waren russische Kampfjets unerlaubt in den türkischen Luftraum eingedrungen.
Vizekanzler Sigmar Gabriel kritisierte das Vorgehen Ankaras. „Erstmal zeigt der Zwischenfall, dass wir einen Spieler dabei haben, der nach Aussage von verschiedenen Teilen der Region unkalkulierbar ist: Das ist die Türkei und damit nicht die Russen“, sagte der SPD-Chef bei einer Politikkonferenz der Deutschen Presse-Agentur.
„Dass die Russen jetzt die Konfrontation auslösen durch die Verletzung des Luftraums, darf einen ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Türkei dort in diesem Konflikt eine schwierige Rolle spielt.“ Es sei „denkbar“, dass dadurch ein Schaden für die angestrebte internationale Koalition unter Einbeziehung Russlands gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) entstehe.
Die USA schließen mehr militärische Zusammenarbeit mit Russland im Kampf gegen den IS nicht aus. Bei einem „Strategiewechsel“ Moskaus gebe es „große Möglichkeiten“ zur Kooperation, sagte Präsident Barack Obama nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident François Hollande im Weißen Haus. „Russland ist willkommen, Teil unserer breiten Koalition zu sein.“ Vorher müsse Moskau sich bei Luftangriffen in Syrien aber auf den IS als Ziel statt auf die gemäßigten Rebellen konzentrieren und einen politischen Wandel in Damaskus unterstützen.
„Wir wollen niemanden ausschließen“, sagte Hollande, der nach den Anschlägen intensiv Möglichkeiten zur Bekämpfung des IS gemeinsam mit anderen Staaten auslotet. „Wir wollen alle Länder versammeln, die gewillt sind, eine politische Lösung zu finden und umzusetzen.“ Hollande trifft dafür am Donnerstag mit Putin zusammen. Bereits an diesem Mittwoch empfängt er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Paris.