Ukraine: EM ohne Politprominenz? - Debatte über Boykott
Berlin/Kiew (dpa) - Sechs Wochen vor der Fußball-EM gerät Gastgeber Ukraine wegen Menschenrechtsverletzungen immer stärker unter Druck. In Deutschland forderten Politiker von Regierung und Opposition, offizielle Delegationen sollten die Spiele der Europameisterschaft in der Ukraine boykottieren.
Der Protest richtet sich vor allem gegen die Haftbedingungen für die im Gefängnis erkrankte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko. Die ukrainische Justiz setzte einen zweiten Strafprozess gegen die inhaftierte Ex-Regierungschefin im EM-Austragungsort Charkow fort.
Nach der Bombenserie in der ukrainischen Stadt Dnjepropetrowsk kündigte Präsident Viktor Janukowitsch eine harte Bestrafung der Täter an. Sein Land werde als Austragungsort der Fußball-EM kein Chaos zulassen, sagte der Staatschef am Samstag bei einem Besuch der Opfer im Krankenhaus. Nach jüngsten Angaben wurden bei dem Anschlag vom Freitag insgesamt 30 Menschen verletzt. Der ukrainische Geheimdienst geht von „eher kriminellen als politischen Hintergründen“ aus.
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel forderte ein deutliches Signal der deutschen Politik an Janukowitsch. „Politiker müssen aufpassen, dass sie nicht zu Claqueuren des Regimes werden. Denn sie sitzen in den Stadien möglicherweise neben Gefängnisdirektoren und Geheimpolizisten. Im Zweifelsfall sollte man da nicht hinfahren“, sagte Gabriel der „Bild am Sonntag“.
Die unter starken Rückenschmerzen leidende Timoschenko protestiert seit dem 20. April mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen. Timoschenko wirft dem Staat Foltermethoden vor. Der Machtapparat bezeichnete Janukowitschs Widersacherin dagegen als Simulantin.
Auch der FDP-Generalsekretär Patrick Döring äußerte die Erwartung, dass „offizielle Delegationen des Bundestages und der Bundesregierung wie Bundespräsident Gauck die Spiele in der Ukraine meiden“. Schon die Vergabe der EM an die Ukraine sei seinerzeit fragwürdig gewesen, sagte Döring der „Welt am Sonntag“. Für einen generellen Boykott sei es aber zu spät, „er wäre auch für die deutsche Nationalmannschaft nach grandioser Qualifikation enttäuschend“.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe riet dagegen davon ab, eine Entscheidung über einen Besuchs-Boykott zu früh zu treffen. „Die EM ist von großer Bedeutung für das ukrainische Volk, ein Boykott straft oft die Falschen“, sagte Gröhe der „Welt am Sonntag“. Über ein Fernbleiben von Spielen „sollte kurzfristig im Lichte der weiteren Entwicklung in der Ukraine entschieden werden“.
Timoschenkos Tochter Jewgenija forderte die Bundesregierung auf, das Leben ihrer Mutter zu retten. „Das Schicksal meiner Mutter und meines Landes sind jetzt eins. Wenn sie stirbt, stirbt auch die Demokratie“, sagte Timoschenkos Tochter der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich entsetzt über den Umgang mit Timoschenko in Haft. „Die Berichte über die Misshandlung von Julia Timoschenko haben mich schockiert“, sagte Westerwelle der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Sollten die Angaben zutreffen, falle ihm die Vorstellung schwer, einfach wieder zur Tagesordnung zurückzukehren.
Timoschenko werde „entgegen aller rechtlichen und moralischen Pflichten in der Ukraine eine angemessene medizinische Behandlung verweigert“, sagte Westerwelle. Er teile die große Sorge der Familie und Freunde um die Gesundheit Timoschenkos.