Unglück von Soma wird zum Imagedebakel für türkische Regierung
Ministerpräsident Erdogan weist Verantwortung von sich. Proteste in Soma, Istanbul, Ankara und Izmir von Polizei zerschlagen.
Soma/Istanbul. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und sein Umfeld sind nicht für das Eingestehen von Fehlern bekannt. Wenn ein Erdogan-Berater wie Yusuf Yerkel öffentlich Reue zeigt, muss etwas gehörig schiefgelaufen sein. Yerkel entschuldigte sich dafür, nach der Bergwerkskatastrophe von Soma auf einen am Boden liegenden Demonstranten eingetreten zu haben — Fotos von dem Vorfall sorgten international für Empörung.
Das Grubenunglück ist auch ein Imagedebakel für die Regierung. Erdogans Weg ins Präsidentenamt könnte holpriger werden, als seine AKP sich das vorgestellt hat. Dabei liegt Erdogans letzter Triumph noch gar nicht lange zurück. Die Kommunalwahl Ende März hatte Erdogan geschickt in eine Abstimmung über seine Politik umgemünzt, die AKP wurde mit Abstand stärkste Kraft.
Die AKP-Wähler blieben unbeeindruckt von Kritik an der Regierung, der unter anderem vorgeworfen wurde, das Internet zensieren und die Justiz unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Die AKP sah den Weg ins Präsidentenamt frei. Erdogan selbst hat zwar seine Kandidatur noch immer nicht erklärt. AKP-Vizechef Yasin Aktay sagte aber kürzlich, in der Partei gebe es „fast einen Konsens“ darüber, dass er antreten solle.
Am Tag nach dieser Aussage brach in der Zeche in Soma ein Brand aus, der zum schlimmsten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei führte. Die furchtbare Bilanz nach dem Ende der Bergungsarbeiten am Samstag: 301 Kumpel verloren ihr Leben.
Bei einem Besuch am Unglücksort ließ Erdogan wenig Fingerspitzengefühl erkennen. „Solche Unfälle passieren ständig“, sagte er. Der Ministerpräsident, der sonst hervorhebt, wie modern die Türkei in seiner elfjährigen Regierungszeit geworden ist, zog Vergleiche mit Grubenunglücken in England im 19. Jahrhundert.
Die türkische Regierung und die Betreibergesellschaft weisen jede Verantwortung für die Katastrophe in dem angeblich regelmäßig kontrollierten Bergwerk von sich. Proteste in Soma zerschlug die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas. In Istanbul, Ankara und Izmir kam es ebenfalls zu Zusammenstößen.
Auch unter Türken auf dem Land — denen etwa das Twitter-Verbot wenig bedeutete — könnte durch das Verhalten der Regierung ein Denkprozess darüber begonnen haben, ob sie Erdogan bei der Präsidentenwahl am 10. August wählen wollen.