Weltgemeinschaft diskutiert - Gaddafi bombardiert
Paris/Tripolis/Bengasi/Kairo (dpa) - Die internationale Gemeinschaft ist sich über das Vorgehen gegen den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi weiterhin uneins.
Die Außenminister aus sieben großen Industrienationen und Russland (G8) konnten sich am Dienstag in Paris nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen. Strittig ist insbesondere die Einrichtung einer Flugverbotszone. Jetzt soll sich der UN-Sicherheitsrat in New York wieder mit dem Thema befassen. Die Luftwaffe des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi bombardierte indes Rebellenstellungen nahe der ost-libyschen Stadt Adschdabija. Ein Aufständischer wurde getötet, mehrere weitere verletzt, berichtete die oppositionelle libysche Web-Seite „Brneiq“.
Innerhalb der G8-Gruppe drängen insbesondere Frankreich und Großbritannien auf ein militärisches Vorgehen gegen die Truppen Gaddafis. Dafür zeichnete sich jedoch bei dem Treffen keine Mehrheit ab. Auch die beiden Sicherheitsrats-Vetomächte USA und Russland blieben in Paris zurückhaltend. Bundesaußenminister Guido Westerwelle machte nochmals deutlich, dass für die Bundesregierung eine Beteiligung an einem Militäreinsatz derzeit nicht infrage kommt. „Ich will nicht, dass Deutschland in einen Krieg in Nordafrika dauerhaft hineingezogen wird“, sagte der FDP-Chef.
In der Abschlusserklärung warnten die G8-Minister Gaddafi vor „schwerwiegenden Folgen“, ohne diese näher auszuführen. Das Thema kommt jetzt erneut vor den UN-Sicherheitsrat. Dieser hatte sich am Montag erstmals damit befasst, ohne zu Entscheidungen gelangt zu sein. Nun wird auch über weitere Sanktionen gegen Gaddafi beraten. Die Bundesregierung plädiert zum Beispiel für das vorübergehende Einfrieren von sämtlichen Auslandszahlungen an Libyen.
Die Kämpfe in Libyen konzentrierten sich am Dienstag auf den Küstenabschnitt zwischen Adschdabija und dem 80 Kilometer westlich gelegenen Brega. Gaddafis Luftwaffe bombardierte nach Medienberichten Stellungen bei Adschdabija sowie die Küstenstraße. Rebellen waren zuvor in das von Gaddafis Truppen zu Wochenbeginn eingenommene Brega eingesickert. Beide Seiten reklamierten für sich, die Stadt zu kontrollieren.
Mit der Bombardierung von Adschdabija rückte der Krieg allerdings näher an die nur 160 Kilometer nördlich gelegene Rebellen-Metropole Bengasi heran. „Die Situation hier ist unverändert“, sagte ein Kämpfer der Aufständischen am Telefon der dpa. „Wir sind nicht verängstigt, aber besorgt.“ Die Regimegegner sind den Gaddafi-Truppen an Bewaffnung unterlegen. Diesen fehlen aber wiederum oft die nötigen Mannstärken, um Terraingewinne dauerhaft abzusichern - zumal, wenn sie sich in Gebiete vorbewegen, in denen ihnen die Bevölkerung feindselig gegenübersteht.
Parallel dazu gingen die Streitkräfte des Diktators verstärkt gegen die von ihnen eingekesselten Städte im Westen des Landes vor. Innerhalb weniger Stunden verloren die Aufständischen die Kontrolle über die Kleinstadt Suwara nahe der tunesischen Grenze, sagte ein Augenzeuge dem arabischen TV-Sender Al-Dschasira. Das staatliche libysche Fernsehen zeigte wenige Stunden später Bilder von einer „Siegesfeier“ in Suwara. Weiterhin unter Beschuss lag Misurata, eine der größeren Städte im Westen. Umkämpft blieb nach Auskunft eines Sprechers der Aufständischen die Stadt Al-Sawija.
In Interviews internationaler Medien gab sich Gaddafi indes siegessicher und gewohnt exzentrisch. Der italienischen Zeitung „Il Giornale“ sagte er, seine Regierung führe zwar Krieg gegen das Terrornetzwerk Al-Kaida. Aber wenn der Westen sich verhalten sollte wie beim Vorgehen gegen Saddam Hussein im Irak, „dann wird Libyen die internationale Allianz gegen den Terrorismus verlassen“. Tripolis werde sich dann mit Al-Kaida verbünden und den Heiligen Krieg erklären. Noch vor wenigen Tagen hatte Gaddafi ein Komplott der Al-Kaida für den Aufstand in Libyen gegen sein Regime verantwortlich gemacht. Den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nannte er „geistesgestört“.
Zum Gespräch mit der Reporterin von RTL Deutschland, Antonia Rados, erschien der Diktator in einem selbst von ihm gesteuerten Golf-Wagen. Im seinem Zelt im Militärlager Bab al-Asisija in Tripolis sagte er, dass er dem Westen nicht mehr traue, der gegen ihn nur „konspiriert“ habe. „Unsere Ölaufträge gehen an russische, chinesische und indische Firmen. Der Westen ist zu vergessen!“ Deutschland nahm er von der Schelte aus. „Die Deutschen haben uns gegenüber eine sehr gute Position eingenommen, ganz anders als viele wichtige Länder im Westen.“ Er könne sich deshalb vorstellen, dass Deutschland weiter Aufträge bekomme.
Auf Rados wirkte der Diktator „sehr selbstsicher und ohne jede Selbstzweifel“, teilte der Sender mit. „Es gab keinerlei Anzeichen von Nervosität, vielmehr vermittelte er das Bild eines Machthabers, der fest im Sattel sitzt“, wurde die Korrespondentin zitiert. Fast 80 Prozent der Bundesbürger lehnen eine deutsche Beteiligung an einer Militäraktion in Libyen ab. Diese Ablehnung zieht sich quer durch alle politischen Lager, ergab eine Umfrage im Auftrag der Bundesregierung, die dpa vorliegt.