Truppenabzug Bundeswehr soll Afghanistan bis Mitte August verlassen
Nach der Nato-Entscheidung über den Truppenabzug aus Afghanistan sollen die 1100 dort stationierten Bundeswehrsoldaten bis Mitte August das Land verlassen.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte am Donnerstag in einem Tagesbefehl an die Truppe zudem an, den Abzug mit zusätzlichen Kräften absichern zu wollen. „Die Bundeswehr verlässt Afghanistan mit Stolz“, schrieb sie zusammen mit Generalinspekteur Eberhard Zorn an die Soldaten. „Unsere Soldatinnen und Soldaten haben alle Aufträge erfüllt, die das Parlament ihnen gegeben hat.“
Die Nato hatte am Mittwoch entschieden, bis zum 1. Mai den Abzug aus Afghanistan einzuleiten. Zuvor hatten sich die USA als größter Truppensteller auf den 11. September als Abzugstermin festgelegt - den 20. Jahrestag der Terroranschläge des Netzwerks Al-Kaida in den USA. Deutschland stellt nach den USA das zweitgrößte Kontingent in der etwa 10 000 Soldaten starken Truppe.
Beim Abzug will die Bundeswehr die Amerikaner jetzt sogar überholen. In vier Monaten soll das Feldlager im nordafghanischen Masar-i-Scharif geräumt sein. Auch die 100 in der Hauptstadt Kabul stationierten Soldaten sollen bis dann nach Hause zurückkehren. „Unser oberstes Ziel ist es, alle unsere Soldatinnen und Soldaten, zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch unsere internationalen Kameradinnen und Kameraden gesund und sicher in ihre Heimat zurück zu bringen“, heißt es in dem Tagesbefehl. „Darauf sind wir vorbereitet.“
Kramp-Karrenbauer kündigte auch an, zusammen mit dem Auswärtigen Amt, dem Entwicklungsministerium sowie anderen beteiligten Ministerien eine umfassende Bilanz des Einsatzes zu ziehen. Zudem erinnerte sie an die 59 Soldaten, die im Einsatz ihr Leben verloren haben - 35 davon bei Anschlägen oder in Gefechten. „Die Menschen in Deutschland sind ihnen zu größtem Dank verpflichtet. Wir vergessen ihren Einsatz und ihr Opfer nicht. In Gedanken sind wir bei ihnen, ihren Familien und Hinterbliebenen.“
Außenminister Heiko Maas sicherte Afghanistan eine Fortsetzung der Unterstützung im zivilen Bereich für die Zeit nach dem Abzug zu. „Wir geben jedes Jahr fast eine halbe Milliarde Euro aus, um Aufbauleistung in Afghanistan zu leisten, und das wird weitergehen“, sagte er in den ARD-„Tagesthemen“. Er setze außerdem darauf, dass bei den Friedensverhandlungen der afghanischen Regierung mit den aufständischen Taliban nachhaltige Ergebnisse erzielt würden, damit nach dem Truppenabzug nicht wieder Chaos in Afghanistan ausbreche. „Das müssen wir unbedingt verhindern.“
Der Bundeswehrverband begrüßte den geplanten Abzug als folgerichtige Entscheidung von „historischer Tragweite“. Der Vorsitzende André Wüstner forderte eine ehrliche Aufarbeitung. „Auch, wenn vieles gut gelaufen ist, die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllt hat, gab es unbestreitbar eine Menge Fehler.“ Wüstner nannte die politischen Weichenstellungen, die Definition unterschiedlicher Ziele für den Einsatz sowie „Machbarkeitsillusionen“.
Nur wenige Stunden nach der offiziellen Abzugsankündigung durch US-Präsident Joe Biden traf US-Außenminister Anthony Blinken am Donnerstag zu einem Besuch in Kabul ein. Blinken habe dem afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani mitgeteilt, dass der US-Abzug die strategischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht schwächen würde, teilte der afghanische Präsidentenpalast mit. Die USA fühlten sich weiter Afghanistan und seinen Menschen verpflichtet. „Ich bin hier, um unser anhaltendes Engagement zu demonstrieren“, sagte Blinken in dem Video des Fernsehsenders ToloNews.
Biden und Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbarten in einem Telefonat eine enge Abstimmung beim Truppenabzug. Bei der Opposition im Bundestag traf die Abzugsentscheidung auf geteilte Reaktionen. Grüne und FDP forderten die Bundesregierung auf, einen Plan vorzulegen, um Errungenschaften des fast 20-jährigen Einsatzes zu schützen. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte die Verbesserung der Lage von Frauen als Beispiel. „Es wäre schlicht fatal, wenn Afghanistan in einer Nachkriegsordnung wieder in mittelalterliche Zustände zurückfallen würde.“
Der Linken-Politiker Alexander Neu sagte, man hätte die Abzugsentscheidung auch vor 15 Jahren schon treffen können. Auch der AfD-Politiker Rüdiger Lucassen nannte den Schritt „überfällig“.
Die Anschläge vom 11. September 2001, für die Al-Kaida verantwortlich gemacht wurde, hatten damals kurzfristig den Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan ausgelöst. Der Militäreinsatz führte binnen weniger Wochen zum Sturz des Taliban-Regimes, das sich geweigert hatte, den Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auszuliefern.
Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte die US-Regierung mit den militant-islamistischen Taliban einen Abzug aller internationalen Truppen bis zum 1. Mai vereinbart. Biden bricht diese Zusage nun. Die Taliban forderten deswegen Truppen der USA und der anderen Nato-Staaten am Donnerstag auf, das Land „sofort“ zu verlassen.
Die Aufständischen hatten zuletzt neue Gewalt gegen Nato-Truppen angedroht, sollte die Frist bis zum 1. Mai nicht eingehalten werden. Biden wie auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnten die Taliban, bei etwaigen Attacken auf Soldaten der USA oder anderer Nato-Staaten während der Abzugsphase müssten sie mit einer kraftvollen Antwort rechnen.