Soziales CDU und Ampel senden Kompromiss-Signale im Streit um Bürgergeld
Berlin · CDU-Chef Merz lässt weiter kaum ein gutes Haar an den Ampel-Plänen zum Bürgergeld - doch Fundamentalopposition klingt anders. Auf dem Weg zu einem möglichen Kompromiss rückt ein Urteil aus Karlsruhe in den Fokus.
Im Streit um das Bürgergeld haben die Spitzen von CDU und SPD mögliche Kompromisslinien aufgezeigt. „Wir müssen die Anreize setzen, schnell wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Samstag beim Deutschlandtag der Jungen Union in Fulda. SPD-Chefin Saskia Esken sagte dem „Tagesspiegel“ (Samstag): „Es wird im Vermittlungsausschuss einen guten Kompromiss geben.“ FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: „Ich bin zuversichtlich, dass eine rasche Einigung beim Bürgergeld gelingen kann, wenn sich die Union sachlich und ergebnisorientiert an der gemeinsamen Lösungsfindung beteiligt.“
Merz rief die Ampel-Koalition zu Zugeständnissen auf. „Wir erwarten von dieser Regierung, dass sie auch einen Schritt, und zwar einen großen Schritt auf uns zugeht, wenn wir eine gemeinsame Lösung für dieses sogenannte Bürgergeld in den nächsten Tagen und Wochen finden wollen.“ Vor einer Woche hatte Merz in einem Interview gesagt: „Da sind Kompromisse schwierig.“ Nun betonte der CDU-Chef, dass die Union insbesondere mit den Sozialdemokraten darüber diskutiere, „ob man aus dieser verkorksten Reform noch etwas machen kann“.
Aus Unionssicht sollen Betroffene durch die Reform zu viel Vermögen behalten dürfen und zu wenige Sanktionsmöglichkeiten fürchten müssen, wenn sie Vorgaben des Jobcenters nicht befolgen. Auch vor dem CDU/CSU-Nachwuchs bekräftigte Merz, dass keine Karenzzeiten geben solle und - „wenn notwendig“ - Sanktionen geben müsse. „Das Bundesverfassungsgericht hat uns hier als Gesetzgeber einen sehr engen Spielraum gegeben“, räumte Merz zugleich ein.
2019 hatte das Gericht die damalige Sanktionspraxis der Jobcenter nach jahrelanger Kritik etwa aus der SPD und von den Linken stark eingeschränkt. Es entschied, dass monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind und die monatlichen Leistungen nur noch um bis zu 30 Prozent gekürzt werden dürfen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen.
Merz sagte: „Diesen engen Spielraum auszunutzen, (...) ist doch ein Gebot des Sozialstaats auch allen denen gegenüber, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.“
Der FDP-Vizechef Johannes Vogel betonte geplante Leistungsanreize. „Das Bürgergeld hat einen starken liberalen Kern - und das ist der stärkere Arbeits- und Leistungsanreiz für die Betroffenen“, sagte Vogel der Deutschen Presse-Agentur. Vogel erläuterte: „Mit dem Bürgergeld wollen wir den Betroffenen ermöglichen, mehr als heute hinzuzuverdienen.“ Das vergrößere ihre Aufstiegschancen. Ihre Anstrengung lohne sich dadurch mehr. Falsch sei es, „nur die Regelsätze anzuheben und alles andere so zu lassen, wie es heute bei Hartz IV ist“. Dies hatte die Union ins Spiel gebracht.
Der Gesetzentwurf zum Bürgergeld von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte im Bundesrat keine Mehrheit bekommen. An diesem Mittwoch soll der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag einen Kompromiss festzurren. Wie aus der Koalition zu hören war, laufen informelle Gespräche auf Hochtouren.
Djir-Sarai sagte: „Die Freien Demokraten haben bereits deutlich gemacht, dass sie für konstruktive Vorschläge der Union offen sind, etwa bei Sanktionen, beim Schonvermögen oder mit Blick auf noch leistungsfreundlichere Zuverdienstregeln.“ Esken sagte: „Die SPD ist gesprächsbereit, und deshalb bin ich optimistisch.“
Kanzler Olaf Scholz (SPD) warf der Union und Merz Abgehobenheit in der Sozialpolitik vor. So sei es „hochnäsig“, dass die Union bei der Abstimmung für einen höheren Mindestlohn im Bundestag nicht einmal „ein ganz klein wenig“ die Hand gehoben habe, sagte Scholz beim Parteitag der baden-württembergischen SPD in Friedrichshafen. „Das hat mit „Leistung muss sich lohnen“ überhaupt nichts zu tun.“
Esken warf CDU und CSU in Friedrichshafen Desinformation vor. Wenn die Union behaupte, bei einer Erhöhung der Regelsätze lohne sich Arbeit nicht mehr, sei das „Fake News“.
Der Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Holger Schäfer, kritisierte in der „Rheinischen Post“ (Samstag) die geplante „Vertrauenszeit“. Diese sende ein Signal aus, dass sich Arbeitslose bei der Jobsuche Zeit lassen könnten. In der „Vertrauenszeit“, den ersten sechs Monaten des Bezugs der Leistungen, sollen keine Leistungen mehr gekürzt werden können, wenn jemand vereinbarungswidrig etwa keine Bewerbungen geschrieben oder Schulungen besucht hat. Sanktionen bei mehrfachem Nichterscheinen bei Jobcenter-Terminen soll es dagegen auch am Anfang geben können.